Wenigstens über den Sachverhalt sind sich die Parteien im Verhandlungssaal des Bezirksgerichts Kulm AG einig: Die Beklagte, eine Frau um die 40, war in finanzieller Not und suchte einen neuen Job. Im Oktober 2016 stiess sie im Internet auf eine Stellenausschreibung – und zwar auf einer Website, die wie der Internetauftritt einer renommierten Immobilienfirma aussah. Erst viel später erfuhr die Aargauerin, dass es sich bei der Seite um eine Fälschung handelte. Betrüger hatten sie erstellt, um unwissende Bewerber in eine Falle zu locken.
Die Frau bewarb sich und bekam die Zusage für den Job – ohne ein Bewerbungsgespräch. Sie gab ihr Privatkonto für den Lohn an. Darauf überwiesen die Betrüger 32 780 Franken, die sie mit Hilfe eines Trojaners vom Geschäftskonto der Immobilienfirma gestohlen hatten. Ein Trojaner ist ein Programm, das ohne Wissen der Besitzer mit Hilfe eines E-Mails auf fremden Computern installiert wird.
Nach dem Geldtransfer wiesen die Betrüger die Aargauerin an, das Geld von ihrem Lohnkonto abzuheben und auf ein Konto einer Bank in Russland zu schicken. Das tat sie – und wurde dafür später in einem Strafverfahren vom Aargauer Obergericht wegen Geldwäscherei verurteilt.
Am Bezirksgericht Kulm klagt nun die Immobilienfirma auf die Rückzahlung der 32 780 Franken, welche die Frau nach Russland überwiesen hatte. Der Anwalt des Unternehmens wirft der Frau vor, sie hätte ahnen müssen, dass «etwas an der Sache faul war». Die Frau habe eine Lehre als Bankkauffrau abgeschlossen. «Spätestens, als ihr gesagt wurde, dass sie das Geld auf ein Konto in Russland schicken soll, hätten bei ihr sämtliche Alarmglocken läuten müssen», sagt der Anwalt. Da sie das Geld trotzdem überwiesen habe, schulde sie die Rückzahlung der rund 33 000 Franken. «Ohne ihre Handlung hätte die Immobilienfirma keinen Schaden erlitten.»
«Meine Mandantin ist ebenfalls ein Opfer dieser Betrüger»
Die Beklagte lässt sich ebenfalls durch einen Anwalt vertreten. Er erwidert, es sei verständlich, dass der Kläger sein Geld zurückwolle. «Aber meine Mandantin ist ebenfalls ein Opfer dieser Betrüger.» Sie sei ein «willenloses Werkzeug» gewesen, das missbraucht worden sei. Zwar habe seine Klientin gewisse Kenntnisse im kaufmännischen Bereich. «Wegen ihrer Naivität beziehungsweise Dummheit ging sie den Gangstern aber auf den Leim.» Diese hätten sehr geschickt agiert und seiner Klientin bloss Schritt für Schritt Anweisungen erteilt. «Es war nie ihre Absicht, den Kläger an seinem Vermögen zu schädigen.»
Nach einigem Hin und Her kommt es zu einem Vergleich
Danach befragt der Richter die Beklagte. Sie erzählt, dass sie die Immobilienfirma im Internet gefunden und deren Handelsregisterauszug angesehen habe, bevor sie sich auf die Stelle bewarb. Zudem habe sie auf Deutsch mit einer angeblichen Angestellten des Betriebs telefoniert. «Ich hätte nie gedacht, dass das Geld, das ich nach Russland schickte, gestohlenes Geld war.» Heute sei ihr klar, dass sie einen Fehler gemacht habe.
Der Richter fragt die Parteien, ob sie an einem Vergleich interessiert seien. Nach einigem Hin und Her einigen sie sich darauf, dass die Frau dem Geschäftsführer 14 000 Franken bezahlt. Die Gerichtskosten von 2000 Franken sowie die Anwaltskosten tragen die beiden je zur Hälfte.
Blauäugigkeit schützt nicht vor Schadenersatzpflicht
Gehilfenschaft zu Straftaten führt nicht nur zu einer Strafe, sondern auch zur Pflicht, den entstandenen Schaden zu ersetzen. Geschädigte einer Straftat können diesen Anspruch sowohl im Strafverfahren geltend machen wie auch in einem separaten Zivilverfahren. Bei einer solchen Forderungsklage müssen sie nachweisen, dass die beklagte Partei das Gesetz verletzte und dieses Verhalten die Ursache für den Vermögensverlust darstellt.