Berufsleben
Irene Ulrich, 39, verträgt in Interlaken BE Werbematerial
Inhalt
saldo 12/2009
20.06.2009
Letzte Aktualisierung:
23.06.2009
Petra Stöhr
Ich verteile zweimal in der Woche für die Direct Mail Company in Interlaken Werbung. Die Firma liefert am Montagmorgen und am Mittwochmorgen das Material fein säuberlich zu mir nach Hause in Unterseen. Spätestens innert 36 Stunden muss es in den Briefkästen sein. Ich fülle jeweils die zwei Seitentaschen meines Velos sowie die beiden Körbchen mit Werbematerial und bediene zehn bis zwölf Strassen. Je nach Fülle der Werbung muss ich vier- bis fünfmal ...
Ich verteile zweimal in der Woche für die Direct Mail Company in Interlaken Werbung. Die Firma liefert am Montagmorgen und am Mittwochmorgen das Material fein säuberlich zu mir nach Hause in Unterseen. Spätestens innert 36 Stunden muss es in den Briefkästen sein. Ich fülle jeweils die zwei Seitentaschen meines Velos sowie die beiden Körbchen mit Werbematerial und bediene zehn bis zwölf Strassen. Je nach Fülle der Werbung muss ich vier- bis fünfmal nach Hause zurückfahren und das Velo neu beladen. Die Direct Mail Company würde mir zwar einen Veloanhänger zur Verfügung stellen. Darin hätte einiges mehr Platz, aber ich ziehe die Seitentaschen vor.
Ich habe zwei Touren, die ich miteinander erledige. Die kleine besteht aus 120 Haushalten, die grosse aus 210. Für diese 330 Briefkästen brauche ich etwa 3 Stunden – dann habe ich aber den Turbo eingelegt. Saisonal bedingt kommen zu den üblichen Werbeprospekten und Flyern auch Abstimmungsmaterialien oder Informationsbroschüren der Behörden hinzu. Dann dauert das Verteilen deutlich länger, da ich diese Sachen auch in die 320 Briefkästen mit Stopp-Kleber einwerfen muss.
Für die grosse Tour erhalte ich knapp über 33 Franken, für die kleine etwas über 21 Franken. Dies macht in der Woche brutto 109 Franken. Der Stundenlohn liegt weit unter 20 Franken. Für Extraaufwendungen wie zum Beispiel die Bedienung der Briefkästen mit Stopp-Klebern gibt es Lohnzuschläge. Das ist alles andere als überbezahlt. Wegen des Lohns mache ich das nicht – davon könnte ich niemals leben. Aber ich bin gerne draussen; Joggen, Rennvelofahren, Langlauf und Ausdauersport gehören zu meinen Hobbys. Für mich sind die Verträgertouren wie aktive Erholung. Man könnte auch sagen, die Firma sponsert mein Training.
Ich bin seit elf Jahren Verträgerin. Es ist kein schlechter Job, aber er wird immer aufwendiger. Ich mache die Arbeit trotzdem meistens mit Freude. Ich kann mir die Zeit relativ frei einteilen; deshalb ist es mir gut möglich, sie neben dem 60-Prozent-Job im Sportgeschäft und meinen Freizeitaktivitäten zu erledigen.
Meist verteile ich die Werbung am frühen Morgen oder während der Mittagspause. Wenn es regnet, muss ich darauf achten, dass das Material nicht nass wird. Mühsam ist es im Winter, wenn es Glatteis hat oder die Trottoirs und Hauseingänge nicht vom Schnee geräumt sind. Dann schüttelt es gewaltig, wenn ich wie ein Packesel beladen unterwegs bin.
Sehr gut gefällt mir der Kontakt mit den Leuten. In gewissen Quartieren sehen die Bewohner nur den Pöstler und mich regelmässig. Einige wollen mit mir plaudern, dafür habe ich aber leider selten Zeit. Mir ist wichtig, dass die Briefkastenbesitzer anständig sind. Kürzlich hat mir eine Frau von weitem zugerufen, sie habe einen Stopp-Kleber am Briefkasten. Ich habe ihr entgegnet, dass ich sogar lesen kann. Damit meine ich, dass wir Verträger die Stopp-Kleber respektieren. Lächeln muss ich über die Menschen, die eigentlich keine Werbung wollen – aber wenn es ein Gratismuster gibt, dann wollen sie es.