Ein Anwalt vertritt den Haftpflichtversicherer des fehlbaren Lenkers, die Zürich-Versicherung. Auch die Klägerin ist durch einen Anwalt vertreten. Der Unfall selbst kommt in der Verhandlung vor dem Einzelrichter kaum zur Sprache.
Das liegt daran, dass der Hergang unbestritten ist: Ein Fussgänger wollte die Strasse überqueren, worauf ein Audi-Lenker vor dem Zebrastreifen anhielt. Die klagende Ärztin sass auf dem Beifahrersitz. Der Fahrer des folgenden Citroëns war unaufmerksam und prallte ins Heck des Audis. Die Ärztin erlitt ein Schleudertrauma.
Die Notfallärzte stellten ein «kranio-zervikales Beschleunigungstrauma Grad I» fest. Nach dem Unfall war die Ärztin sieben Monate krank und weitere drei Monate nur zum Teil arbeitsfähig. Von der Haftpflichtversicherung des Citroën-Lenkers fordert sie insgesamt 83 000 Franken Schadenersatz.
Ihr Anwalt erklärt dem Gericht, dass gut zwei Drittel davon den Lohnausfall betreffen. Die Unfallversicherung der Frau habe zwar den grössten Teil davon übernommen – eine verpasste Lohnerhöhung aber nicht. Über Jahre werde seine Mandantin wegen der langen Absenz weniger verdienen. Weitere Posten sind eine Entschädigung für die Einschränkung in der Haushaltsarbeit und rund 2000 Franken für Taxikosten bei Arztterminen sowie 4000 Franken Genugtuung.
Versicherung: Burn-out, nicht Unfall als Ursache
Der Anwalt der Haftpflichtversicherung beantragt die Abweisung der Klage. Er bestreitet, dass es sich um Folgen des Unfalls handle: «Die Klägerin war schon vor dem Unfall wegen eines Burn-outs arbeitsunfähig.» Der verpasste Gehaltsanstieg sei nicht nachvollziehbar, die Taxikosten hätten nichts mit dem Unfall zu tun.
Der Anwalt des Unfallopfers bestreitet das Burn-out nicht. Die Ärztin habe am besagten Freitag seit gut zwei Wochen krankheitsbedingt nicht gearbeitet. Sie habe sich aber besser gefühlt und am folgenden Montag wieder zur Arbeit gehen wollen – zwei Wochen früher, als der Hausarzt empfohlen hatte. Der Unfall aber habe eine neue, monatelange Erwerbsunfähigkeit ausgelöst. Der Anwalt des Opfers beantragt dem Gericht, den Zusammenhang mit dem Unfall durch ein Gutachten klären zu lassen. Das tut der Richter denn auch.
Ärztin scheitert im Beweisverfahren
Gut anderthalb Jahre später treffen sich die Parteien wieder im Gerichtssaal. Ein Gutachten einer medizinischen Abklärungsstelle in der Ostschweiz zeigt auf, dass die Beschwerden der Ärztin nicht nur unfallbedingt sind, sondern auch auf ein angeborenes Leiden im Bereich der Halswirbelsäule und auf ein Burnout zurückzuführen sein dürften.
Nach sieben Monaten liegt das 45-seitige Urteil vor. Der Richter weist die Klage ab. Der Klägerin sei der Nachweis nicht gelungen, dass die gesundheitlichen Beschwerden und die Arbeitsunfähigkeit mit «überwiegender Wahrscheinlichkeit» eine Folge des Unfalls seien. Verlangt sei eine Wahrscheinlichkeit von 75 Prozent.
Finanzieller Schaden nicht rechtsgenügend nachgewiesen
Das Gutachten äussert sich in diesem Punkt unklar. Der Richter nimmt aber zugunsten der Versicherung an, dieses Ausmass sei nicht erreicht. Die Aufprallgeschwindigkeit sei zu gering gewesen. Und selbst wenn der Entscheid in diesen Punkten zugunsten der Ärztin ausgefallen wäre, hätte die Klage laut Gericht abgewiesen werden müssen. Denn der finanzielle Schaden sei nicht rechtsgenügend nachgewiesen.
9800 Franken Gerichtsgebühr und 20 600 Franken Gutachtenkosten werden der Klägerin auferlegt. Zusätzlich wird sie verpflichtet, der Zürich-Versicherung eine Prozessentschädigung von 18 600 Franken zu überweisen. Zum Glück ist sie rechtsschutzversichert.
Volle Beweislast beim Unfallopfer
Prozessieren. Wer verunfallt, hat es vor Gericht schwer. Eine Klage auf Schadenersatz ist nur dann erfolgreich, wenn die schädigende Handlung, der finanzielle Schaden und der Zusammenhang zwischen der schädigenden Handlung und dem finanziellen Nachteil bewiesen wird. Die Beweislast liegt allein auf Seite der klagenden Partei. Bestreitet eine Versicherung, dass gesundheitliche Folgen auf den Unfall zurückgehen, muss das Unfallopfer den Zusammenhang mit Hilfe eines ärztlichen Gutachtens beweisen. Häufig gibt die Versicherung ein Gegengutachten in Auftrag. Zuletzt entscheidet das Gericht.