Prämiengelder weiterhin für Provisionen missbraucht
Noch immer geben die Krankenkassen weit mehr als 100 Millionen Franken für Vermittler aus, die Jagd auf gute Risiken machen. Die Politiker sehen diesem Treiben tatenlos zu.
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saldo 11/2010
07.06.2010
Letzte Aktualisierung:
08.06.2010
Eric Breitinger
Vor kurzem erhielt Beatrice Gujer aus Binningen BL den Anruf eines Maklers. Er gab an, für zwölf Krankenkassen zu arbeiten, und bot ihr 15 Prozent Rabatt auf ihre Prämie 2011. Sie müsse beim Hausbesuch nur einen Antrag unterschreiben, ihre Kasse brauche sie dafür nicht zu wechseln.
Gujer misstraute dem Anrufer, vertröstete ihn und rief später bei ihrer Kasse an. Der Kundendienst der Sanitas wusste nichts von solchen Rabatten und bestritt eine Zus...
Vor kurzem erhielt Beatrice Gujer aus Binningen BL den Anruf eines Maklers. Er gab an, für zwölf Krankenkassen zu arbeiten, und bot ihr 15 Prozent Rabatt auf ihre Prämie 2011. Sie müsse beim Hausbesuch nur einen Antrag unterschreiben, ihre Kasse brauche sie dafür nicht zu wechseln.
Gujer misstraute dem Anrufer, vertröstete ihn und rief später bei ihrer Kasse an. Der Kundendienst der Sanitas wusste nichts von solchen Rabatten und bestritt eine Zusammenarbeit mit dem Vermittler.
Das ist kein Einzelfall. Laut dem Ombudsmann der Krankenkassen, Rudolf Luginbühl, gibt es zurzeit «vermehrt Aktivitäten unseriöser Vermittler». Ein beliebter Trick sei, Versicherten Formulare zur Unterschrift vorzulegen und zu behaupten, dass es sich um den Antrag für eine Offerte handle.
In Wahrheit unterschreibt der Versicherte einen Versicherungsantrag und die Kündigung der bisherigen Versicherung. Gängig sind auch folgende Tricks: Freie Makler geben sich als Versicherungsmitarbeiter aus. Sie unterschlagen beim Abschluss einer Spital-Zusatzversicherung Karenzzeiten, die den Versicherten verbieten, vor Ablauf eines Jahres Leistungen geltend zu machen.
Sie raten Interessenten an einer Zusatzversicherung, Krankheiten zu verschweigen. Falls die Lüge später auffliegt, kündigt die Kasse den Vertrag und verweigert die Zahlung.
Vermittler können Autos und Reisen gewinnen
Krumme Touren lohnen sich. Die Kassen zahlen Vermittlern für jedes neue junge und gesunde Mitglied hunderte von Franken Provision. Laut Medienberichten belohnte die Groupe Mutuel freie Vermittler Ende Mai in einem Wettbewerb zudem mit 150 Preisen im Wert von 300‘000 Franken.
Der erfolgreichste Vermittler bekam einen VW Scirocco für 35‘000 Franken, zudem gab es einen Fiat 500 und Reisen zu gewinnen – finanziert mit Prämiengeldern. Auch der Internetvergleichsdienst Comparis lässt sich jede Offerte in der Grundversicherung mit 30 bis 45 Franken von den Kassen bezahlen (saldo 20/09).
111 Millionen Franken liessen sich die Kassen laut der Statistik der obligatorischen Krankenversicherung 2008 die Jagd auf gute Risiken kosten – 33 Millionen mehr als 2007. Wie saldo von der Geschäftsleitung einer Krankenkasse weiss, ist diese Zahl deutlich zu tief geschätzt.
Mindestens die Hälfte der Summe strichen laut Bundesamt für Gesundheit Vermittler ein. Dass noch mehr Geld geflossen sein dürfte, zeigt die Tatsache, dass die offizielle Statistik keine Boni für Festangestellte berücksichtigt. Für 2009 und 2010 rechnen Experten mit weiter steigenden Provisionszahlungen.
Verzögerung durch den Ständerat
Die Politiker sehen dem tatenlos zu. Dabei haben der National- und der Ständerat im Rahmen der Vorlage zur Eindämmung der Kostenentwicklung bereits definitiv das Provisions- und Telefonwerbeverbot in der Grundversicherung beschlossen. Die Räte sind sich nur noch in zwei anderen, leicht überbrückbaren Detailfragen der Vorlage uneins.
Dennoch kommt diese erst in der dritten Woche der Sommersession in den Nationalrat. Der Ständerat will sie erst in der Herbstsession behandeln. Die späte Traktandierung durch die Ratsbüros erklären diese offiziell mit Terminschwierigkeiten. Für SP-Nationalrätin Jacqueline Fehr ist jedoch klar, dass es «keinen Druck gab, die Vorlage rasch zu behandeln». Folge: Das Provisionsverbot und die anderen Sparmassnahmen kommen zu spät, um die Prämien 2011 zu senken.
«Die Krankenkassen spielen auf Zeit»
Daran stossen sich Konsumentenschützer und einzelne Politiker, die sich in ihren Fraktionen nicht durchsetzen konnten. «Es ist unglaublich, dass die Politik diesen Missbrauch von Prämiengeldern nicht endlich abstellt», sagt Margrit Kessler von der Stiftung SPO Patientenschutz.
Auch Sara Stalder von der Stiftung für Konsumentenschutz wirft interessierten Kassen und deren Lobbyisten im Parlament vor, «auf Zeit zu spielen und selbst kleinere Kosteneinsparungen zu verzögern». Ins gleiche Horn stösst FDP-Ständerätin Christine Egerszegi: «Die Versicherer wehren sich mit Händen und Füssen gegen Sparforderungen.» Sie bezeichnet die Verzögerung als «völlig inakzeptabel».
Vorlage würde Kosten von 200 Millionen sparen
SP-Nationalrätin Silvia Schenker aus Basel kritisiert die «nicht nachvollziehbare Prioritätssetzung» der Räte zugunsten der umstrittenen Managed-Care-Vorlage. Die Sparvorlage brächte laut Schenker eine rasche Kostenersparnis, ohne die Qualität der Patientenversorgung zu schmälern.
Auch die CVP-Nationalrätin Ruth Humbel ärgert es, «dass diese Massnahmen in der Sommersession nicht in die Schlussabstimmung kommen». Dies wäre ohne weiteres möglich: «Der zeitliche Aufwand wäre nicht mehr gross.» Den Spareffekt schätzt sie auf rund 200 Millionen Franken.