Experte warnt: «Viele Tattoos sind Zeitbomben»
Tätowierfarben enthalten oft heikle Stoffe. Doch die Behörden schauen weg.
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saldo 12/2009
21.06.2009
Letzte Aktualisierung:
23.06.2009
Eric Breitinger
Der Schmetterling auf dem Schulterblatt oder das Schlangenmuster um den Arm sollen eine Zierde sein. An der Hautstelle bilden sich aber oft Knötchen, es kommt zu einer Schwellung, die juckt. «Allergische Reaktionen sind bei roten oder grünen Farben häufig», sagt Reinhard Dummer, Vizechef der Dermatologischen Klinik am Unispital Zürich. Zudem kommt es oft zu Hautausschlägen oder Infektionen. Offizielle Zahlen über Nebenwirkungen bei den jährlich r...
Der Schmetterling auf dem Schulterblatt oder das Schlangenmuster um den Arm sollen eine Zierde sein. An der Hautstelle bilden sich aber oft Knötchen, es kommt zu einer Schwellung, die juckt. «Allergische Reaktionen sind bei roten oder grünen Farben häufig», sagt Reinhard Dummer, Vizechef der Dermatologischen Klinik am Unispital Zürich. Zudem kommt es oft zu Hautausschlägen oder Infektionen. Offizielle Zahlen über Nebenwirkungen bei den jährlich rund 120'000 Tätowierungen in der Schweiz gibt es jedoch nicht.
Auslöser von Komplikationen sind meist die Farbpigmente, welche die Tätowierer per Nadel in tiefe Hautschichten einbringen. Viele Farben enthalten laut Laboranalysen allergene oder krebserregende Stoffe. In manchen stecken auch Metallicpartikel, die sonst als Autolack dienen. Die meisten Hersteller verschweigen, was sie in ihre Tinten mischen. «Auf Anfragen erhalten wir stets die Antwort: Die Zusammensetzung ist geheim», so Dummer.
Erst seit kurzem gibt es Bestimmungen, die vor schädlichen Farben schützen sollen. So dürfen Tätowierfarben und Permanent-Make-ups seit 2008 keine krebserzeugenden Azofarbstoffe oder das allergene p-Phenylendiamin enthalten. Das Bundesamt für Gesundheit (BAG) fordert zudem von Tätowierern in einer Richtlinie zur «guten Arbeitspraxis» die Einhaltung strikter Hygieneregeln.
Kantone drücken sich um Kontrollen
Der Haken: Keiner kontrolliert, wie sauber Farben und Arbeit der rund 400 Tätowierer in der Schweiz wirklich sind – und das seit Jahr und Tag (saldo 16/2002). Der Verband Schweizerischer Berufstätowierer (VST) führte Mitte 2008 bei den Kantonschemikern eine Umfrage durch, wobei er sich erkundigte, wie sie die «Gefährdung der Kunden» eindämmen wollen. Die Reaktion war ernüchternd: «Fast alle Kantone antworteten, dass sie keinen Bedarf an Kontrollen in Tätowierstudios sehen», sagt VST-Präsident Roland Altermatt. Hierzu zählten Zürich, Aargau, Bern, Schwyz. Ein Innerschweizer Kanton erklärte sogar: «Wir werden erst aktiv, wenn etwas passiert ist.» Auch die wenigen Kantone wie Basel-Stadt, die Stichproben ankündigten, taten seitdem wenig. Vor kurzem sammelte zumindest das BAG erstmals Farbproben in Tattoo-Studios. Die Ergebnisse seiner Risikoanalysen will das Amt demnächst publik machen.
Der Zürcher Dermatologe Reinhard Dummer fordert regelmässige Kontrollen der Tätowierer und ihrer Farbstoffe. Auch sollten die Hersteller der Farben ihre Rezepturen offenlegen müssen. «Wer sich ein Tattoo stechen lässt, trägt diese Substanzen ein Leben lang im Körper», erklärt Dummer. Heikle Stoffe könnten in Tätowierfarben daher viel länger Schaden anrichten als etwa in Lebensmitteln. Dummer: «Viele Tattoos sind Zeitbomben.»