Heikles Geschäft mit der Haut
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saldo 16/2002
09.10.2002
Piercer durchbohren Körperteile, Tätowierer spritzen Farbe unter die Haut. Kontrollen fehlen - obwohl sich die Kunden einem Gesundheitsrisiko aussetzen.
Das kunstvoll in die Haut geritzte Röschen brennt und juckt. Das Tattoo entzündet sich, Knötchen bilden sich unter der Haut: erste Anzeichen einer allergischen Reaktion auf eine Tätowierung. Diese Komplikation bekommt Stephan Lautenschlager, Chefarzt des Dermatologischen Ambulatoriums des Stadtspitals Triemli in Zürich, imm...
Piercer durchbohren Körperteile, Tätowierer spritzen Farbe unter die Haut. Kontrollen fehlen - obwohl sich die Kunden einem Gesundheitsrisiko aussetzen.
Das kunstvoll in die Haut geritzte Röschen brennt und juckt. Das Tattoo entzündet sich, Knötchen bilden sich unter der Haut: erste Anzeichen einer allergischen Reaktion auf eine Tätowierung. Diese Komplikation bekommt Stephan Lautenschlager, Chefarzt des Dermatologischen Ambulatoriums des Stadtspitals Triemli in Zürich, immer wieder zu sehen. «Oft bleibt keine andere Möglichkeit, als das Tattoo zu entfernen», sagt der Hautarzt.
«Eine Desinfektion mit Alkohol reicht nicht aus»
Auch der Allgemeinpraktiker Thomas Walser bestätigt: «Fremdkörperreaktionen bei Tätowierungen sieht man relativ häufig.» Doch sowohl beim Piercen als auch beim Tätowieren kann es noch zu weit schlimmeren Infektionen kommen: «Internationale Studien zeigen, dass Ansteckungen mit Syphilis, Tuberkulose und Hepatitis B und C möglich sind, wenn nicht sauber gearbeitet wird», erklärt Stephan Lautenschlager. Problematisch ist vor allem das Hepatitis-Virus. «Dieses Virus ist widerstandsfähiger als das HI-Virus. Eine Desinfektion mit Alkohol reicht da nicht aus.»
Hygiene: Keine Vorschriften und keine Kontrolle
Trotz dieser gesundheitlichen Risiken hält der Tattoo- und Piercing-Trend in der Schweiz ungebrochen an: Längst vorbei sind die Zeiten, in denen lediglich «Knastis» und Rocker tätowierte Haut zeigten - heute trägt auch der Banker sein Tattoo selbstbewusst zur Schau. Umso mehr erstaunt es, dass die Gesundheitsbehörden keine Kontrollen durchführen: Jeder kann ein Tattoo- und Piercing-Studio eröffnen - er braucht weder eine Ausbildung noch eine Bewilligung. Keinerlei Hygienevorschriften schränken ihn ein. Und er muss auch nicht mit ungebetenem Besuch der kantonalen Behörden rechnen. Ihnen scheint es gleichgültig zu sein, unter welchen hygienischen Verhältnissen Tätowierer und Piercer den Kunden unter die Haut rücken.
Marianne Delfosse, Mediensprecherin der Gesundheitsdirektion des Kantons Zürich: «Unsere Aufsicht erstreckt sich auf Behandlungen von kranken Menschen. Tätowieren und Piercen sind jedoch Eingriffe am gesunden Menschen und fallen deshalb in den Bereich der Hygiene, für den die Gemeinden zuständig sind.» Nur: Auch die städtischen Behörden führen keine Kontrollen durch.
Tätowierfarben: Inhaltsstoffe häufig nicht deklariert
Ebenfalls kaum überprüft bleiben die verwendeten Materialien. Die kantonalen Labors kontrollieren lediglich die Schmuckgegenstände in den Piercing-Studios. Ausgeschlossen sind die Farben beim Tätowieren, weil die gesetzliche Grundlage dafür fehlt. Dabei wäre diese dringend nötig, denn niemand weiss genau, was mit den verwendeten Farben unter die Haut gespritzt wird. Stephan Lautenschlager: «Die Inhaltsstoffe sind vor allem bei den Rottönen problematisch, sie erzeugen am häufigsten Nebenwirkungen. Eine Stichprobe ergab, dass nicht alle Inhaltsstoffe deklariert waren. Viele Hersteller hüten die "Zutaten" als Berufsgeheimnis.»
Das Bundesamt für Gesundheit schiebt zumindest nicht die gesamte Verantwortung ab. Michel Donat, Sektionsleiter Kosmetika, Gebrauchsgegenstände und Tabak, gibt zu: «Die Situation ist unbefriedigend, weil es keine Vorschriften gibt und niemand diese Studios kontrolliert. Allerdings wird derzeit ein Projekt gestartet.»
Der Berufsverband will Mitglieder selbst kontrollieren
Inzwischen sind die Tätowierer selbst aktiv geworden. In ihrem Berufsverband VST haben sie Hygienevorschriften erlassen. «Eine medizinische Person führt jährlich eine unangemeldete Kontrolle durch. Gibt es Mängel, droht dem Mitglied der Ausschluss aus dem Verband», sagt Steff, selber Tätowierer und VST-Vorstandsmitglied. Der Verband zählt nur 25 Mitglieder - die Piercer sind nicht dabei. Angesichts der 300 bis 500 Studios in der Schweiz ein sehr tiefer Organisationsgrad.
Eine unbefriedigende Situation. Und auch von ärztlicher Seite ist Unmut zu hören. Dermatologe Lautenschlager: «Eine Kontrolle oder Aufsicht ist wünschenswert. Wir sind schliesslich mit den Folgen konfrontiert.»
Silvia Baumgartner
Tipps
- Sehen Sie sich das Tattoo- oder Piercing-Studio genau an. Ist es sauber, oder wirkt es schmuddelig?
- Achten Sie auf eine gute Beratung. Ist der Piercer oder Tätowierer sympathisch? Macht er auf eventuelle Risiken aufmerksam?
- Klären Sie Hygiene und Desinfektion genau ab. Wird mit Einweg-Handschuhen und -Instrumenten gearbeitet? Werden diese auch steril ausgepackt?