Die Bandscheibe heilt auch ohne den Chirurgen
Drückt eine Bandscheibe auf den Nerv, muss man sich nicht gleich unters Messer legen. Sanfte Methoden helfen oft ebenso gut.
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saldo 06/2013
03.04.2013
Brigitte Jeckelmann
Patienten mit einer lädierten Bandscheibe lassen sich immer häufiger operieren: 2001 waren es 4500 Patienten, zehn Jahre später bereits über 7600. Andreas Raabe, Direktor der Neurochirurgie am Inselspital Bern, weiss weshalb: «Viele Chirurgen empfehlen vorschnell eine Operation.» Zudem würden Patienten häufig einwilligen, ohne zuvor eine längere Therapie ausprobiert zu haben.
Dabei ist eine Operation längst nicht immer nö...
Patienten mit einer lädierten Bandscheibe lassen sich immer häufiger operieren: 2001 waren es 4500 Patienten, zehn Jahre später bereits über 7600. Andreas Raabe, Direktor der Neurochirurgie am Inselspital Bern, weiss weshalb: «Viele Chirurgen empfehlen vorschnell eine Operation.» Zudem würden Patienten häufig einwilligen, ohne zuvor eine längere Therapie ausprobiert zu haben.
Dabei ist eine Operation längst nicht immer nötig. Eine kaputte Bandscheibe heilt zu 90 Prozent innerhalb einiger Wochen von selbst. Denn das Stück der Bandscheibe, das zwischen den Wirbeln herausgedrückt wurde, verliert Wasser und schrumpft oder löst sich gar vollständig auf. Zudem belegen zahlreiche Studien: Defekte Bandscheiben lassen sich mit Schmerzmitteln und Physiotherapie gut behandeln.
«Vor lauter Schmerzen konnte ich nächtelang nicht liegen»
Eine Methode, die immer wieder für Schlagzeilen sorgt, ist die Biokinematik-Therapie (siehe «K-Tipp» 8/2012). Der deutsche Arzt Walter Packi hat sie entwickelt. Das Prinzip ist einfach: Patienten müssen die Bauchmuskeln strecken, dann richten sie sich auf und können so den Druck auf die Bandscheiben lindern. Denn viele Menschen verbringen ihren Arbeitstag vorwiegend im Sitzen. Die dadurch verkürzte Bauchmuskulatur zieht die Wirbelsäule nach vorn und die zusammengedrückten Wirbel quetschen die Bandscheibe. Packis Methode soll das wieder beheben.
Jörg Schleusener aus Meinisberg BE hat sie geholfen. Der 79-Jährige erfuhr durch eine Bekannte von der Therapie, als er kurz davor stand, sich operieren zu lassen. «Die Schmerzen waren höllisch», sagt Schleusener. Er hatte sich eine Bandscheibe gequetscht, nachdem er beim Wandern in ein tiefes Schneeloch getreten war. Auch Ruth Häusermann hat die Biokinematik geholfen. Die Bernerin hatte zuvor so starke Schmerzen, «dass ich oft nächtelang am Bettrand sass, weil ich nicht liegen konnte». Sie ist, wie Jörg Schleusener, bis heute schmerzfrei.
Diese Therapie zahlen nur wenige Krankenkassen
Die Biokinematik-Therapie bieten in der Schweiz erst wenige Therapeuten an. Eine davon ist die deutsche Ärztin Ilona Kunzelmann in Feldmeilen ZH. Auf ihrer Website schreibt sie, die Therapie sei geeignet für vielerlei Arten von Rückenschmerzen. Dazu würden Schmerzen der gesamten Wirbelsäule, vom Hals bis zur Lende gehören, aber auch Bandscheibenschäden und Hexenschuss.
Die Methode ist nicht unumstritten. So beruht der Erfolg nur auf subjektiven Aussagen vereinzelter Patienten. Es gibt keine wissenschaftlichen Studien, die eine Wirkung belegen. Während die Krankenkassen Sanitas und Swica in Einzelfällen die Kosten übernehmen, haben sie Helsana und Progrès 2009 wieder aus ihrer Liste der anerkannten Therapien gekippt. Spezialisten der Zürcher Kliniken Balgrist und Schulthess sowie des Universitätsspitals Zürich ist die Therapie unbekannt.
Kunzelmann wollte sich zur Kritik gegenüber saldo nicht äussern. Auf ihrer Website heisst es, Krankheiten wie Rheuma, Parkinson, Diabetes und Demenz würden den Behandlungserfolg einschränken.
Mit der Schmerztherapie lerne man, sich selber wieder wahrzunehmen. Kunzelmann bringe den Patienten die korrekte Ausführung der Übungen bei, die zu Hause fortgesetzt werden sollten.
Sanfte Therapien: von Alexander-Technik bis Rolfing
Es muss aber nicht unbedingt die Packi-Methode sein. Es gibt andere sanfte Methoden mit Physiotherapie-Elementen, die bekannter sind. Viele Ärzte arbeiten denn auch mit spezialisierten Therapeuten zusammen. Hier einige Beispiele:
Alexander-Technik:
Sie fördert eine gute Haltung und Bewegung. Die Therapie korrigiert falsche Bewegungsmuster. Denn diese können nach Jahren zu Schmerzen führen.
Feldenkrais-Methode:
Dabei lernt der Patient, Bewegungsabläufe möglichst ohne Kraftaufwand auszuführen.
Rolfing:
Körpertraining und Bindegewebemassage weren kombiniert. Dabei löst der Therapeut verklebtes Bindegewebe, dehnt und entspannt verkürzte und verkrampfte Muskeln.
Für den Zürcher Hausarzt Thomas Walser ist Rolfing «eine Methode, die helfen kann, im hektischen Alltag wieder ins Gleichgewicht zu kommen».
Defekte Bandscheibe: Das müssen sie wissen
- Achten Sie auf Schmerzen, die übers Gesäss in die Beine ausstrahlen. Das sind typische Hinweise auf einen Bandscheibenschaden.
- Lassen Sie sich nicht zu einer Operation drängen.
- Lassen Sie Ihre Beschwerden genau abklären. Holen Sie im Zweifel eine Zweitmeinung ein.
- In folgenden Fällen ist eine Operation unumgänglich: bei starken Lähmungserscheinungen im Bein, bei Blasen- und Darmstörungen oder unerträglichen Schmerzen. Doch eine Operation beseitigt nur die Schmerzen im Bein, Rücken- und Wirbelsäulenprobleme bleiben.
- Schonen Sie sich bei Schmerzen nicht zu sehr. Bewegung tut dem Rücken gut.
- Mit alternativen Therapien klingen Beschwerden oft innert drei Monaten ab.
- Weitere Informationen finden sie im Gesundheitstipp-Ratgeber «Das Kreuz mit dem Rücken». Mit Übungen, Tipps zum Vorbeugen und den besten Therapieformen.
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