Elf Todesfälle nach neuem MS-Medikament
Das Medikament Gilenya steht im Verdacht, den Tod mehrerer Multiple-Sklerose-Patienten verursacht zu haben. Experten sind nicht überrascht.
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saldo 03/2012
12.02.2012
Letzte Aktualisierung:
13.02.2012
Brigitte Jeckelmann
Gilenya von Novartis galt als neue Hoffnung im Kampf gegen Multiple Sklerose, einer Erkrankung des zentralen Nervensystems. Nun folgt die Ernüchterung: Laut der Europäischen Arzneimittelagentur EMA starben weltweit elf Patienten an Herzversagen, die Gilenya eingenommen hatten. Gilenya ist seit einem Jahr auf dem Markt.
Untersuchung der Todesfälle verlangt
Der Schweizer Arzt und Pharmakritiker Etzel Gysling ist nicht überrascht. ...
Gilenya von Novartis galt als neue Hoffnung im Kampf gegen Multiple Sklerose, einer Erkrankung des zentralen Nervensystems. Nun folgt die Ernüchterung: Laut der Europäischen Arzneimittelagentur EMA starben weltweit elf Patienten an Herzversagen, die Gilenya eingenommen hatten. Gilenya ist seit einem Jahr auf dem Markt.
Untersuchung der Todesfälle verlangt
Der Schweizer Arzt und Pharmakritiker Etzel Gysling ist nicht überrascht. Bereits im Frühling 2011 hatte er im Fachblatt «Pharma-Kritik» grosse Skepsis geäussert. Die gemachten Studien seien zu lückenhaft, um das Medikament freizugeben. «Die Todesfälle, die bekannt geworden sind, bestätigen meine zurückhaltende Beurteilung», sagt Gysling heute. «Es scheint, dass die Todesfälle grösstenteils auf der Gefährlichkeit für das Herz beruhen», so Gysling. Vielleicht aber auch, weil sich der Wirkstoff schlecht mit andern Medikamenten vertrage oder weil die Ärzte die Patienten nicht genügend überwacht hätten. Die Datenlage lasse keine eindeutige Aussage über Schaden und Nutzen des Mittels zu.
Die EMA verlangt, dass die zuständigen Behörden in den EU-Mitgliedstaaten zusammen mit Novartis die Todesfälle untersuchen. Die EMA empfiehlt Ärzten zudem dringend, die Herztätigkeit der Patienten engmaschiger zu überwachen.
Trotz der Todesfälle belässt das Schweizerische Heilmittelinstitut Swissmedic das Medikament auf dem Markt. Bei richtigem Gebrauch habe das Präparat ein günstiges Nutzen-Risiko-Verhältnis, sagt Sprecher Rudolf Stoller. Laut Swissmedic kam es in der Schweiz bisher zu keinen schweren Zwischenfällen.
Auch die Schweizerische MS-Gesellschaft sieht keinen unmittelbaren Handlungsbedarf. Ludwig Kappos, Professor am Unispital Basel und wissenschaftlicher Beirat der MS-Gesellschaft, will Gilenya weiterhin verschreiben. Auf total 30 000 behandelte Patienten seien 11 Todesfälle statistisch nicht von vornherein auffällig. Laut Kappos belegen zwei Studien, dass Gilenya besser wirkt als andere MS-Medikamente und gut verträglich ist. Dennoch sei nicht auszuschliessen, dass unbekannte Nebenwirkungen auftreten könnten.
Novartis ist Sponsor der MS-Gesellschaft
Dass Kappos für Gilenya nur lobende Worte findet, erstaunt nicht. Auf der Website der Schweizerischen MS-Gesellschaft figuriert Gilenya-Hersteller Novartis als Sponsor. Der Pharmakonzern schreibt zu den Vorwürfen: Die Zahl der gemeldeten Todesfälle durch Herzinfarkt entspreche derjenigen einer vergleichbaren Population. Zudem würden «zunehmend Erfahrungen zur langfristigen Wirkung und Sicherheit von Gilenya vorliegen».
Mediziner Etzel Gysling rät betroffenen Patienten, sich beim Arzt zu vergewissern, dass er am Anfang der Behandlung ihre Herztätigkeit sehr sorgfältig überwacht.