Wirrwarr um ein Darlehen
Zwei Bekannte streiten sich um ein Darlehen: Der Darlehensgeber behauptet, das Geld sei nicht zurückbezahlt worden. Sein Ex-Kollege sagt, die Schulden seien beglichen. Das Gericht entscheidet aufgrund der Zahlungsbelege.
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saldo 09/2013
15.05.2013
Thaïs In der Smitten
Vor dem Gerichtssaal im Richteramt Thal-Gäu SO liefern sich Kläger und Beklagter ein lautstarkes Wortgefecht auf Albanisch. Für die Prozessbesucher ist klar: Die zwei Männer liegen im Streit miteinander. Schliesslich packt der Anwalt des Beklagten seinen Mandanten. Die beiden ziehen sich in den Anwaltsraum zurück.
Die Gerichtspräsidentin zeigt sich zu Beginn der Verhandlung verärgert über das rüpelhafte Verhalten vor dem Gerichtssaal. E...
Vor dem Gerichtssaal im Richteramt Thal-Gäu SO liefern sich Kläger und Beklagter ein lautstarkes Wortgefecht auf Albanisch. Für die Prozessbesucher ist klar: Die zwei Männer liegen im Streit miteinander. Schliesslich packt der Anwalt des Beklagten seinen Mandanten. Die beiden ziehen sich in den Anwaltsraum zurück.
Die Gerichtspräsidentin zeigt sich zu Beginn der Verhandlung verärgert über das rüpelhafte Verhalten vor dem Gerichtssaal. Entsprechend führt sie die Verhandlung mit straffen Zügeln. Der Kläger fordert die Rückzahlung von 90 000 Franken. Urspünglich habe er dem Bekannten ein Darlehen von 100 000 Franken gewährt, davon seien nur 10 000 Franken zurückbezahlt worden. Der Beklagte behauptet, die Schuld sei längst beglichen. Bei der geltend gemachten Forderung handle es sich um überrissene Zinsforderungen, die er nicht zahlen müsse.
Zeugenaussagen sind unklar oder widersprüchlich
Drei Zeugen sollen Licht ins Dunkel bringen. Die Ex-Ehefrau des Klägers schildert, wie ihr damaliger Ehemann und der Beklagte in ihrer Wohnung am 14. Juni 2009 einen Darlehensvertrag unterschrieben. In der Wohnung hätten sich auch der Sohn ihres Mannes und ihre Schwiegermutter aufgehalten.
Doch der Vertrag, der dem Gericht vorliegt, trägt das Datum vom 15. Januar 2008. Die Gerichtspräsidentin will eine Erklärung dafür. «Keine Ahnung, den Vertrag hat der Sohn meines Mannes aufgesetzt», erwidert die Zeugin. «Könnte es nicht sein, dass der Vertrag viel früher gemacht wurde?» Antwort der Zeugin: «Nein, an das Datum erinnere ich mich genau.»
Auf die Frage zu den Zahlungsmodalitäten erklärt sie, das zurückbezahlte Geld sei immer bar geflossen. Quittungen gibt es nicht – ausser für zwei Banküberweisungen von je 5000 Franken.
Als zweite Zeugin sagt die Mutter des Darlehensgebers aus. Sie bestätigt, dass der Vertrag am 14. Juni 2009 aufgesetzt worden sei und dass der Beklagte damals anwesend war. Dieser ruft erzürnt dazwischen: «Das stimmt nicht! Diese Frau hat mich noch nie gesehen.» «Doch, er war dabei. Aber er hat zugenommen. Ich musste zweimal hingucken, um ihn zu erkennen», ist sich die Zeugin sicher.
Der dritte Zeuge, ein Bekannter des Klägers, verweigert eine Aussage: «Der Beklagte hat mir vor der Verhandlung gedroht, mich umzubringen, wenn ich eine Aussage mache. Ich werde Anzeige erstatten und sage nichts.» Wieder ruft der Beklagte dazwischen: Er kenne diesen Zeugen gar nicht.
Dann ergreift der Kläger das Wort, um die Frage nach dem Datum zu klären. Er habe dem Beklagten das Geld im Januar 2008 geliehen – ohne schriftlichen Vertrag. Der Beklagte habe sich gegen einen schriftlichen Darlehensvertrag gewehrt und immer wieder versprochen, das Geld zurückzuzahlen. Er habe das Versprechen aber nicht eingehalten, weshalb er am 14. Juni 2009 auf ein schriftliches Dokument bestanden habe: «Ich hatte ja nichts in der Hand.»
Der Beklagte bestätigt, im Juni 2009 den Vertrag unterschrieben zu haben. Das Datum sei auf den Januar 2008 zurückdatiert worden, weil er damals das Geld erhielt. Das Darlehen sei aber inzwischen zurückbezahlt. Beim verlangten Betrag handle es sich um überrissene Zinsen.
Gemäss Bankbelegen bleibt eine Restschuld von 90 000 Franken
Sein Anwalt stützt diese These: «Ein Teil der angeblichen Schuld ist nachweislich zurückgezahlt. Und es ist nicht unüblich, dass in solchen Kreisen horrende Zinsen verlangt werden.» Zudem sei nicht bewiesen, dass der Kläger dem Beklagten das Geld überhaupt gegeben habe.
Das dreiköpfige Gericht ist anderer Ansicht und heisst die Klage gut. Es stützt sich dabei auf den schriftlichen Darlehensvertrag über 100 000 Franken und die beiden Bankbelege über die Rückzahlung von je 5000 Franken. Daraus resultiere eine Restschuld von 90 000 Franken.
Das Verfahren kommt den unwilligen Zahler teuer zu stehen: Er muss zusätzlich zur Restschuld die Anwaltskosten des Klägers von 8300 Franken sowie die Gerichtskosten von 8000 Franken übernehmen.
Prozessieren: Urkunden sind nützlicher als Zeugen
Prozesse über Geldforderungen sind in der Regel zweigeteilt: in ein Behauptungs- und ein Beweisverfahren. Behaupten kann jede Partei, was sie will. Sie kommt mindestens zweimal zu Wort und kann so zu den Aussagen der Gegenpartei Stellung nehmen. Sind Tatsachen umstritten, entscheidet meist das Beweisverfahren.
Beweismittel gibt es mehrere. Die häufigsten sind Dokumente, Zeugenaussagen und Expertisen. Am zuverlässigsten sind schriftliche Dokumente. Auf Zeugenaussagen ist oft kein Verlass. Etwa wenn die Zeugen einer Partei nahestehen und so ein Interesse an einem bestimmten Prozessausgang haben. Oder weil sich Zeugen nicht mehr genau erinnern oder sich gegenseitig widersprechen. Unberechenbar ist auch das Ergebnis eines Gutachtens. Deshalb sollten sich Kläger vor einem gerichtlichen Vorgehen immer zuerst fragen: Kann ich meine Behauptung durch Urkunden beweisen? Ist dies der Fall, reduziert sich das Prozessrisiko erheblich.