Wenig Schutz vor schlechten Ärzten
Schweizer Behörden erfahren nicht automatisch, ob eingewanderte Ärzte im Ausland vorbestraft sind. Folge: Auch umstrittene Mediziner erhalten eine Praxisbewilligung.
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saldo 10/2013
29.05.2013
Eric Breitinger
Mitte des vergangenen Jahres entzogen die Gesundheitsbehörden der Kantone Aargau und Zürich einem deutschen Arzt die Bewilligung zur Berufsausübung. Grund: «Fehlende Vertrauenswürdigkeit.» Das Bezirksgericht Bremgarten AG verurteilte den 57-Jährigen, der in Rudolfstetten AG eine Praxis betreibt, im Juli 2012 zu einer Geldstrafe von rund 115 000 Franken: Er hatte ohne Bewilligung 4600 Ritalin-Tabletten abgegeben.
Schon früher mit de...
Mitte des vergangenen Jahres entzogen die Gesundheitsbehörden der Kantone Aargau und Zürich einem deutschen Arzt die Bewilligung zur Berufsausübung. Grund: «Fehlende Vertrauenswürdigkeit.» Das Bezirksgericht Bremgarten AG verurteilte den 57-Jährigen, der in Rudolfstetten AG eine Praxis betreibt, im Juli 2012 zu einer Geldstrafe von rund 115 000 Franken: Er hatte ohne Bewilligung 4600 Ritalin-Tabletten abgegeben.
Schon früher mit dem Gesetz in Konflikt geraten
Gegen den Arzt laufen gegenwärtig weitere Verfahren. So prüft der Krankenkassenverband Santésuisse, ob er in den Jahren 2010 und 2011 viel mehr Behandlungen abrechnete als der Durchschnitt der Berufskollegen. Beim zweiten Verfahren geht es um einen vermeintlichen Behandlungsfehler. Dem Arzt wird vorgeworfen, bei einem jungen Mann mehrere Gewebeproben entnommen zu haben, ohne diese ins Labor einzuschicken. Wie sich später zeigte, stammten sie von einem bösartigen Tumor. Der junge Mann ist inzwischen gestorben. Der Arzt will zu den laufenden Verfahren nicht Stellung nehmen. Er klagt gegen die Entscheide der Kantone Aargau und Zürich wegen des Entzugs der Praxisbewilligung, darf aber vorerst weiterpraktizieren.
Der Arzt war schon früher mit dem Gesetz in Konflikt geraten: Das Münchner Amtsgericht verurteilte ihn in den Jahren 2000 und 2004 zu bedingten Freiheitsstrafen von 21 und 6 Monaten: Er hatte in 64 Fällen Löhne veruntreut, Steuern hinterzogen und Sozialbeiträge nicht bezahlt. Zudem bestrafte ihn das Oberlandesgericht im Jahr 2000 wegen Beleidigungen zu einer Busse. Er hatte laut der «Süddeutschen Zeitung» Polizisten und Staatsanwälte als «Deppen» und «Kanaken» beschimpft und einem Amtsrichter einen Besuch «mit dem Maschinengewehr» angedroht.
Die Aargauer Behörden kannten die Vorstrafen nicht, als sie dem deutschen Arzt 2006 erlaubten, im Kanton seinen Beruf auszuüben. Heute sagte der Sprecher der Behörde, Balz Bruder, dazu: «Aus heutiger Sicht hätten wir den Arzt vermutlich anders beurteilt.»
EU-Staaten tauschen Daten über Straftaten untereinander aus
Patientenschützer kennen weitere ähnliche Fälle. Margrit Kessler von der Schweizerischen Stiftung Patientenschutz berichtet von einem US-Arzt, der in einem Privatspital Patientinnen sexuell missbraucht haben soll. Laut Kessler war er wegen sexueller Übergriffe im Ausland vorbestraft. Er praktiziere inzwischen in Zypern.
Erika Ziltener vom Dachverband Schweizerischer Patientenstellen weiss von einem deutschen Schönheitschirurgen, der als Belegarzt in einem Ostschweizer Spital arbeitet. Zwei Patientinnen werfen ihm vor, die Sorgfaltspflicht verletzt zu haben. Die eine hatte der Arzt an der Nase operiert, die andere am Bauch. Der Arzt ist laut Ziltener in Deutschland wegen Behandlungsfehlern vorbestraft.
Für Patientenschützer ist klar: Behörden und Patienten erfahren oft zu spät von relevanten Vorstrafen eingewanderter Mediziner. Das ist brisant: Allein 2012 nahmen laut dem Bundesamt für Migration 1507 ausländische Ärzte in der Schweiz neu eine Arbeit auf. Laut der Ärzteorganisation FMH besitzen 27 Prozent der rund 32 000 berufstätigen Ärzte der Schweiz ein ausländisches Arztdiplom, 87 Prozent davon aus EU-Ländern.
Zumindest die EU hat darauf reagiert. In einem elektronischen Informationssystem tauschen Behörden der einzelnen Staaten Daten untereinander aus über relevante Straftaten von ein- und auswandernden Ärzten, Krankenschwestern und anderen Fachpersonen. Sie wollen so verhindern, dass fehlbare Personen Berufsverbote oder -einschränkungen umgehen, indem sie im Ausland weiterpraktizieren.
Der Datenaustausch wird nächstes Jahr voraussichtlich für alle EU-Länder zur Pflicht. Laut dem Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation nimmt die Schweiz an diesem Informationsaustausch nicht teil. Der Bund habe die entsprechende EU-Richtlinie nicht übernommen. Laut dem Staatssekretariat müsste man die Richtlinie in die bilateralen Verträge mit der EU aufnehmen. Der Bundesrat hat das Thema bislang nicht vorrangig behandelt.
Margrit Kessler befürchtet deshalb, dass die Schweiz «noch mehr Ärzte anzieht, die in den Herkunftsländern Schwierigkeiten haben». Auch Erika Ziltener fordert eine Schweizer Beteiligung am Datenaustausch: «Patienten können sich ja nicht vor solchen Ärzten schützen, das ist vor allem Sache der Behörden.»
Schweizer Register listet privat angestellte Ärzte nicht auf
Auch der Ärzteverband FMH unterstützt das Anliegen, will aber zuerst die Informationslücken im Inland beheben. Seit 2008 sind die Kantone verpflichtet, rechtskräftige Sanktionen gegen Ärzte, Apotheker und Chiropraktiker im Bundesregister www.medreg.admin.ch einzutragen. Patienten können sich hier über ihre Ärzte informieren. Zudem soll das Register laut dem Bundesamt für Gesundheit verhindern, «dass Medizinalpersonen mit einem Berufsausübungsverbot in einem anderen Kanton eine Bewilligung erhalten». Der Haken: Bisher sind privat angestellte Ärzte von der Meldepflicht ausgenommen. FMH-Sprecher Maximiliano Wepfer fordert nun, ausnahmslos alle Ärzte im Register aufzunehmen. Dies sei eine Voraussetzung für den Datenaustausch mit ausländischen Behörden.