Unternehmen haftet für einen Unfall auf seinem Parkplatz
Ein Vertreter rutschte bei einem Kunden auf dem Parkplatz aus und brach sich einen Oberschenkel. Er fordert Schadenersatz von der Firma. Der Fall kommt vor das Bezirksgericht Arlesheim.
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saldo 03/2013
20.02.2013
Thaïs In der Smitten
Am 3. Februar 2009 fuhr der Aussendienstler Viktor Bär (alle Namen geändert) zu einem Kunden im Baselbiet. Um zehn Uhr stieg er auf dem Parkplatz aus und öffnete die hintere Autotüre, um Jackett und Agenda herauszunehmen. Als er sich in Richtung Eingang wandte, fiel er hin und brach sich den Oberschenkelknochen. Er war auf einer kleinen Eisplatte ausgerutscht, die er nicht bemerkt hatte.
An einem kalten Morgen im Januar 2013 steht ein Dutzend Personen auf eben ...
Am 3. Februar 2009 fuhr der Aussendienstler Viktor Bär (alle Namen geändert) zu einem Kunden im Baselbiet. Um zehn Uhr stieg er auf dem Parkplatz aus und öffnete die hintere Autotüre, um Jackett und Agenda herauszunehmen. Als er sich in Richtung Eingang wandte, fiel er hin und brach sich den Oberschenkelknochen. Er war auf einer kleinen Eisplatte ausgerutscht, die er nicht bemerkt hatte.
An einem kalten Morgen im Januar 2013 steht ein Dutzend Personen auf eben diesem Parkplatz. Fünf Richter des Bezirksgerichts Arlesheim, die Gerichtsschreiberin, der Geschäftsführer des Unternehmens und die Anwälte der beiden Parteien besichtigen die Unfallstelle. Die Richter versuchen, den Hergang nachzuvollziehen, fotografieren die Unfallstelle.
Wenig später treffen sich alle Beteiligten im Gerichtssaal von Arlesheim. Das Gericht hat darüber zu urteilen, ob das Unternehmen für den Unfall auf seinem Kundenparkplatz haftet.
Das Gericht macht sich die Arbeit nicht leicht. Es hat nicht nur die Unfallsituation genau abgeklärt. Es gab vorher auch noch eine medizinische Expertise in Auftrag. Sie soll klären, ob sich der Verunfallte auch dann so schwer verletzt hätte, wenn er nicht eine Prothese getragen hätte. Denn Bär hatte zwei Jahre zuvor bei einem Zugunfall einen Unterschenkel verloren und trägt eine Prothese.
Seit seinem Unfall auf dem Parkplatz hinkt Viktor Bär leicht. Davor – dies bestätigt das Gutachten – sei sein Gang normal gewesen. Er habe sogar Sport treiben können, berichtet er der Gerichtspräsidentin: «Ich war fitter als vor dem Unfall. Ich spielte Tennis und Fussball.» Er war auch voll arbeitsfähig. Aber seit dem Ausrutscher auf dem Eis habe er starke Schmerzen, sei nur noch zu sechzig Prozent arbeitsfähig. Trotz Physiotherapie verbessere sich sein Zustand nicht. Im Gegenteil, es werde eher schlimmer.
Alle Angestellten der Firma kennen die gefährliche Stelle
Die Richterin befragt vier Mitarbeiter des beklagten Unternehmens als Zeugen. Keiner von ihnen hat den Unfall selbst gesehen. Auch kann sich niemand mehr erinnern, ob der Parkplatz am fraglichen Morgen gesalzen wurde. Aber allen ist die Stelle mit der leichten Vertiefung bekannt, auf der Bär ausrutschte. Ebenso ist bekannt, dass die Stelle jeweils am längsten vereist bleibt.
Bärs Anwalt betont, dass die gefährliche Stelle für einen Besucher nicht leicht erkennbar gewesen sei. Für das Unternehmen wäre es aber einfach gewesen, die Stelle zu salzen, um das Unfallrisiko zu vermeiden. Der Anwalt geht davon aus, dass weder am Unfalltag noch am Vortag gesalzen wurde, da sich die kleine Eisfläche sonst aufgelöst hätte. Der Knochenbruch sei eine übliche Unfallfolge und nicht durch die Prothese verursacht. Folglich hafte die Firma vollumfänglich. Es sei davon auszugehen, dass der Kläger teilweise arbeitsunfähig bleibe.
Der Anwalt der beklagten Firma plädiert auf Abweisung der Klage, maximal sei die Haftung des Unternehmens auf fünfzig Prozent festzusetzen. Die Niederschlagstabelle zeige klar, dass es weder an jenem noch am Vortag geschneit oder geregnet habe. Der Parkplatz sei damals fast ganz trocken gewesen. Zudem sei die vereiste Stelle gut sichtbar gewesen. Grund für den Unfall sei die mangelnde Vorsicht des Klägers. Schliesslich hätte er auch einen anderen der dreizehn Parkplätze wählen können.
Ein Besucher muss bei trockenem Wetter nicht mit Glatteis rechnen
Das Gericht ist anderer Ansicht. Es heisst die Klage auf Feststellung der vollen Haftung des Unternehmens vollumfänglich gut – die Höhe des Schadens ist nicht Gegenstand der Klage. Die Argumentation des Gerichts: Das Unternehmen hätte seinen Kundenparkplatz salzen oder den gefährlichen Parkplatz sperren sollen. Der Aufwand wäre zumutbar gewesen. Ein Besucher habe bei trockenem Wetter nicht mit einer vereisten Stelle rechnen müssen.
Laut Gericht ist die Haftung wegen des früheren Unfalles nicht herabzusetzen. Gemäss dem medizinischen Gutachten habe der Kläger vor dem Unfall keinerlei Gangunsicherheit gehabt, seine Muskulatur sei in einem guten Zustand gewesen. Eine Person ohne Prothese hätte auf dieselbe Art verunfallen können. Die beklagte Partei muss sämtliche Kosten tragen: 4000 Franken Gerichtskosten, 14 000 Franken für das medizinische Gutachten und 17 500 Franken Anwaltskosten des Klägers.
Prozessieren: Geld sparen durch schrittweises Vorgehen
Unfallfolgen können in die Hunderttausende von Franken gehen. Dies etwa dann, wenn das Opfer nie mehr voll arbeiten kann.
Für die Verunfallten kommt zum Schaden auch noch ein hohes Prozessrisiko: Bestreitet der Unfallverursacher seine Haftung, sind sie gezwungen, eine Klage einzureichen. Und müssen dem Gericht einen Kostenvorschuss überweisen, der sich an der Streitsumme orientiert: Je höher der eingeklagte Betrag, desto höher der Vorschuss. Das können Zehntausende von Franken sein.
Deshalb ist oft ein schrittweises Vorgehen sinnvoll: Zuerst auf Festellung der Haftung klagen. So ist der Vorschuss tiefer. Und erst nachher eine konkrete Summe einklagen.