Manche Tabletten sind weiss überzogen, zum Beispiel das Schmerzmittel Ibuprofen, das Antiallergiemedikament Cetirizin oder das Krebspräparat Caprelsa. Der Weissmacher heisst Titandioxid, abgekürzt TiO2 oder E 171.
Gemäss dem Schweizerischen Heilmittelinstitut Swissmedic ist der Farbstoff in 1720 zugelassenen Arzneimitteln enthalten. Der europäische Verband der Titandioxid-Hersteller lobt den Weissmacher in den höchsten Tönen: Er erzeuge ein reines Weiss, schütze lichtempfindliche Inhaltsstoffe und mache Medikamente länger haltbar.
Der Farbstoff kann Schäden im Erbgut verursachen
In einer aktuellen Sicherheitsbewertung schliesst die EU-Behörde für Lebensmittelsicherheit Efsa nicht aus, dass der Stoff das genetische Material in Zellen schädigen und zu Krebs führen könnte. Die Efsa legte «keine sichere Menge für die tägliche Aufnahme» fest. Titandioxid besteht zur Hälfte aus winzig kleinen Partikeln. Der Körper nehme zwar nur wenige diese Nanopartikel auf, sie könnten sich jedoch im Körper ansammeln. Als Lebensmittelzusatzstoff gilt Titandioxid also nicht mehr als sicher.
Das schweizerische Bundesamt für Lebensmittelsicherheit kündigte an, Titandioxid in Lebensmitteln Ende 2021 zu verbieten. Martin Forter von den Ärztinnen und Ärzten für Umweltschutz fordert, das Verbot auszudehnen: «Wir sollten den Stoff auch nicht über Tabletten aufnehmen.»
Robert H. Schiestl, emeritierter Professor für Pathologie und Umweltmedizin an der Universität von Kalifornien in Los Angeles, rät «unbedingt» von Titandioxid in Medikamenten ab. Seine Tests an Mäusen zeigten: Der Stoff akkumuliert sich im Körper zu hohen Konzentrationen, die nach wenigen Jahren Schäden im Erbgut verursachen. Die Schaffhauser SP-Nationalrätin Martina Munz bezeichnet es als «unsinnig, den heiklen Stoff weiter zu benutzen, nur um Pillen schöner aussehen zu lassen».
Ob die Behörden Patienten künftig besser schützen, ist fraglich. Gemäss Rebecca Harding von der Europäischen Medikamentenbehörde prüfe die Europäische Kommission zurzeit, wie das Efsa-Gutachten auf Arzneimittel anzuwenden sei. Swissmedic-Sprecher Lukas Jaggi erklärt, man verfolge die Abklärungen und entscheide dann «international abgestimmt» über das weitere Vorgehen. Pharmaverbände wie Interpharma oder die Vereinigung der Pharmafirmen in der Schweiz beantworten gegenüber saldo keine Fragen dazu.
Für Jürgen Dartsch von der Firma Biogrund aus dem hessischen Hünstetten (D) ist klar: «Titandioxid lässt sich in jedem Medikament ersetzen.» Allerdings müsse man ein Gemisch aus mehreren Rohstoffen einsetzen und es teils kräftiger auftragen, um ungefähr die gleiche Deckkraft zu erhalten. Die neuen Überzüge schützten Tabletten aber genauso wie Titandioxid.
In Vitaminpillen von Burgerstein ist Titandioxid bereits ersetzt
Das Schweizerische Heilmittelinstitut Swissmedic erhielt nach eigenen Angaben Änderungsgesuche von einem halben Dutzend Hersteller. Diese wollen Titandioxid in Medikamenten ersetzen.
Die Firma Burgerstein aus Rapperswil-Jona SG ist schon weiter. Sie hat den Hilfsstoff in neun Vitamin- und Mineralstoffpräparaten wie L-Glutamin durch Alternativen ersetzt. Firmenchefin Tanja Zimmermann sagt: «Das ist ohne weiteres machbar.»