Der Nationalrat hat Ende September entschieden: Soldaten der Schweizer Armee dürfen in Zukunft nur noch ihre Armeewaffe mit nach Hause nehmen. Die Taschenmunition hingegen müssen sie abgeben. Mit diesem Beschluss soll die Sicherheit in den Privathaushalten erhöht werden. Grund: Rund die Hälfte aller Schusswaffenopfer in Schweizer Familien werden mit Ordonnanzwaffen getötet.
Nicht einmal nach dem Verwendungszweck wurde gefragt
Können sich Familienangehörige nach diesem Beschluss des Parlamentes tatsächlich sicherer fühlen? saldo wollte wissen, wie schwierig es ist, Ersatzmunition zu beschaffen, und hat in sieben zufällig ausgesuchten Waffenfachgeschäften Munition für die Armeepistole 75 verlangt.
Das Resultat der Stichprobe: In vier Läden wurde dem saldo-Testkäufer die
Munition ohne grosse Umschweife verkauft. Drei der Waffenhändler verlangten nur einen Ausweis, die Angabe der Adresse sowie eine Unterschrift auf der Quittung – und schon war man im Besitz von 50 Vollmantelgeschossen. Der Verkäufer im Zürcher Laden Swiss Firearms Trade legte dem Kaufwilligen zusätzlich einen Fragebogen vor, auf dem
dieser unter anderem bescheinigen musste, dass er nicht entmündigt und kein Strafverfahren gegen ihn hängig ist. «So nehmen wir unsere Sorgfaltspflicht wahr», erklärte der Händler.
Überraschend war auch, dass in keinem der vier Läden danach gefragt wurde, wofür die Munition eigentlich benötigt werde.
Drei Geschäfte gaben keine Munition heraus
In den anderen drei besuchten Waffengeschäften wurde der Verkauf von Mu-
nition verweigert (siehe Kasten). Da die Testperson in den Läden nicht registriert war und keinen aktuellen Auszug aus dem Strafregister vorweisen konnte, wurde – mit Verweis auf das Waffengesetz – keine Munition herausgegeben.
Die drei Verkäufer gaben dem vermeintlichen Waffennarr aber gleich das offizielle Formular mit, um einen Strafregisterauszug zu beantragen. Die Wartezeit betrage nur eine gute Woche und es koste 20 Franken. «Wenn Sie dann einmal bei uns im System sind, können Sie so viel Munition kaufen, wie sie wollen», sagte der Verkäufer im Zürcher Geschäft Schaufelberger AG.
«Den Händlern, die Munition verkauft haben, kann kein Vorwurf gemacht werden», findet Guido Balmer, Sprecher des Bundesamtes für Polizei. «Es ist nirgends klar geregelt, wie sich der Verkäufer verhalten soll.»
Tatsächlich heisst es im Waffengesetz bloss, der Verkäufer dürfe Munition abgeben, wenn er «nach den Umständen annehmen darf», dass der Kunde die Voraussetzungen für die Erteilung eines Waffenerwerbsscheins erfüllt (siehe Kasten). Explizit vorgeschrieben wird den Verkäufern nur die Überprüfung von Identität und Alter des Kunden.
Munitionskauf: Strafregisterauszug soll Pflicht werden
Laut Balmer ist das Problem erkannt. Im Zusammenhang mit dem Bundesbeschluss Schengen-Dublin ist auch das Waffengesetz revidiert und präzisiert worden. Neu wird den Händlern zwingend vorgeschrieben, dass
sie bei Personen, die Munition für die Armeewaffe erwerben wollen, einen aktuellen Strafregisterauszug verlangen müssen. In Kraft tritt diese neue Bestimmung jedoch frühestens am 1. November 2008.
Aber auch mit dem verschärften Waffengesetz wird es für Besitzer von Armeewaffen nicht viel schwieriger, an Munition zu gelangen. Ein Strafregisterauszug, der berechtigt, unbeschränkt Munition zu beziehen, ist rasch besorgt. Und verzweifelte Familienväter, die ihre Frau und ihre Kinder töten wollen, sind in der Regel nicht vorbestraft.
Hubert Bonderer, Präsident des Schweizer Büchsenmacher- und Waffenfachhändlerverbandes, rechtfertigt das unterschiedliche Verhalten seiner Berufskollegen bei der saldo-Stichprobe ebenfalls mit der unklaren Rechtslage und nimmt diejenigen, die Munition verkauft haben,
in Schutz: «Wenn sie jemanden als vertrauenswürdig erachten, dürfen sie die Munition abgeben. Das liegt in ihrem Ermessensspielraum.» Ob das revidierte Waffengesetz mehr Rechtssicherheit für die Händler schafft, will Bonderer nicht kommentieren. Dazu sei es noch zu früh.
Die Zürcher SP-Nationalrätin Chantal Galladé, deren Vater sich mit der Armeepistole das Leben nahm, ist über die Leichtigkeit, mit
welcher sich Munition erwerben lässt, «besorgt». Für sie zeigen die Testergebnisse, dass die Abgabe der Taschenmunition «nur ein Zwischenschritt» sein kann. «Damit kann lediglich der eine oder andere Fall von Affekthandlung verhindert werden. Aber das einzig Richtige ist es, wenn auch die Armeewaffe nicht mehr zu Hause im Schrank aufbewahrt wird.»
Dem widerspricht Hermann Bürgi, SVP-Ständerat aus dem Thurgau und Präsident der sicherheitspolitischen Kommission. «Es ist ein Irrtum zu glauben, die Gewaltdelikte im häuslichen Bereich würden massiv zurückgehen, wenn sich Waffe und Munition im Zeughaus befinden. Dann wird einfach ein anderes Instrument verwendet.»
Das sagt das Gesetz
Personen, die eine Waffe kaufen wollen, müssen in ihrem Wohnkanton einen Waffenerwerbsschein beantragen. Für die Waffe aus der Militärdienstzeit braucht es keinen solchen Schein. Auch beim Kauf von Munition ist ein Erwerbsschein nicht nötig.
Gemäss Waffengesetz gelten für den Munitionskauf aber grundsätzlich dieselben Voraussetzungen wie für den Erwerb einer Waffe: Dem Kauf darf «kein Hinderungsgrund nach Artikel 8 Absatz 2» entgegenstehen. Das heisst konkret: Erwachsene, die nicht entmündigt oder straffällig geworden sind, keinen Anlass geben, sich selbst oder Dritte zu gefährden, und keine Handlung begangen haben, «die eine gewalttätige oder gemeingefährliche Gesinnung bekundet», erhalten die gewünschte Munition.
Wie Waffenhändler diese Bedingungen genau zu überprüfen haben, darüber schweigen sich Waffengesetz und -verordnung aus. Zwingend vorgeschrieben ist beim Munitionsverkauf bloss die Überprüfung von Identität und Alter des Kunden.
Die getesteten Waffenfachgeschäfte
In diesen Geschäften erhielt saldo Munition für die Armeepistole 75: Glaser Waffen AG, Zürich; Kesselring, Frauenfeld; Zimmermann Waffen AG, Bülach; Swiss Firearms Trade, Zürich. Das Vorzeigen eines Ausweises, die Angabe der Adresse und eine Unterschrift auf die Kaufquittung genügte. Bei Swiss Firearms Trade musste zusätzlich ein Fragebogen ausgefüllt werden.
In diesen Geschäften erhielt saldo keine Munition: Bürchler Waffen, Zürich; Schaufelberger AG, Zürich; Naturaktiv AG, Winterthur. In diesen Läden wird Munition nur gegen Vorzeigen eines aktuellen Strafregisterauszugs verkauft.