Singles - die Milchkühe der Nation
Alleinstehende sind in der Minderheit - und oft benachteiligt. Nur weil sie allein leben, müssen sie für vieles mehr zahlen als Paare. Stark diskriminiert werden sie vom Staat.
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saldo 14/2006
13.09.2006
Eric Breitinger
Gemäss Volkszählung lebten im Jahr 2000 in der Schweiz 1,12 Millionen Menschen in 1-Personen-Haushalten. Heute dürften es noch mehr sein. Trotzdem werden Alleinstehende gegenüber Verheirateten diskriminiert: Sie zahlen mehr Steuern und Spitalkosten, Pensionskassen kassieren häufig ihr Erspartes, falls sie vor dem Ruhestand sterben.
Ausserdem haben Singles höhere Ausgaben. Laut der Eidgenössischen Steuerverwaltung belaufen sich die Haushaltskosten eines Paares ohne Kinder nu...
Gemäss Volkszählung lebten im Jahr 2000 in der Schweiz 1,12 Millionen Menschen in 1-Personen-Haushalten. Heute dürften es noch mehr sein. Trotzdem werden Alleinstehende gegenüber Verheirateten diskriminiert: Sie zahlen mehr Steuern und Spitalkosten, Pensionskassen kassieren häufig ihr Erspartes, falls sie vor dem Ruhestand sterben.
Ausserdem haben Singles höhere Ausgaben. Laut der Eidgenössischen Steuerverwaltung belaufen sich die Haushaltskosten eines Paares ohne Kinder nur auf das 1,5-Fache eines Alleinstehenden, und meist verdienen in einem 2-Personen-Haushalt beide. «Das Bild vom reichen Single ist völlig falsch», sagt Sylvia Locher, Geschäftsführerin der Arbeitsgemeinschaft Unabhängiger Frauen (AUF), die sich als einzige Organisation für die Gleichstellung der Alleinstehenden einsetzt.
Pensionskasse: Single-Kapital geht oft verloren
Gut 350 000 Franken hat der 57-jährige André Welti in seinem Berufsleben auf dem Pensionskassenkonto angehäuft. «Wenn ich morgen sterben würde, wäre alles weg», ärgert er sich. Als Alleinstehender hat Welti nämlich keine Möglichkeit, eine nahestehende Person seiner Wahl zu begünstigen. Hätte er Gattin oder langjährige Konkubinatspartnerin, bekäme diese eine Witwenrente. Allenfalls kämen auch Kinder oder Eltern bei Weltis Pensionskasse, der Basler Stiftung Abendrot, zum Zug - doch auch die hat Welti nicht.
Die Folge: Im frühen Todesfall sackt die Pensionskasse - wie alle anderen Kassen auch - André Weltis Kapital ein. So will es das Gesetz. «Wir haben da keinen Spielraum», erklärt Hans-Ulrich Stauffer, Geschäftsführer der Stiftung Abendrot. Die Pensionskasse diene dazu, den Versicherten und seine nächsten Angehörigen abzusichern.
Was in Sachen Pensionskassen gilt, ist in der AHV, IV, Unfall- und Arbeitslosenversicherung nicht anders. Alleinstehende zahlen unter dem Strich für die Verheirateten. Die Leistungen, die jemand bekommt, sind immer auch abhängig von seinem Zivilstand, und nicht nur von Arbeitslosigkeit, Invalidität oder Tod. Die heutigen AHV-Prämien zwingen sogar schlecht verdienende Ledige, Verheiratete aus der Mittelschicht zu unterstützen, wie die Ökonomin Petra Peters berechnete (saldo 2/04).
Steuern: Alleinstehende zahlen für andere mit
Auch die Steuerbehörde bittet Ledige stärker zur Kasse als Bürger mit Trauschein.
So geben Alleinstehende in der Schweiz laut OECD-Statistik für 2005 im Schnitt 29,5 Prozent des Einkommens für Steuern aus, Verheiratete ohne Kinder 27,4 Prozent. Denn das Steuerrecht kennt nur zwei Tarife: den besseren für Verheiratete und den schlechteren für Alleinstehende. Im Kanton Thurgau bezahlt ein Single mit 30 000 Franken Einkommen seit der Steuerreform im letzten Jahr 2429 Franken Steuern. Das ist 36-mal so viel wie ein Ehepaar mit dem gleichen Einkommen. Bei 40 000 Franken Einkommen berappt er 4,3-mal mehr, bei 60 000 Franken immer noch 1,8-mal mehr.
Das ist kein Ausnahmefall, sondern der Trend: Mit der vom Bundsrat für 2008 geplanten Bundessteuerreform werden Alleinstehende auf Kosten der Ehepaare noch stärker benachteiligt. Letztere zahlen dann einen tieferen Steuersatz - und müssen noch dazu nicht das ganze Einkommen versteuern (Doppelverdienerabzug).
«Alleinstehende sind stark benachteiligt», sagt Treuhänder Bruno Zoller, der gegen das neue Thurgauer Steuerrecht bis vors Bundesgericht ziehen will. AUF-Geschäftsführerin Sylvia Locher fordert die Einführung der Individualbesteuerung: Jeder zahlt für sich selber Steuern - egal, ob er ledig oder verheiratet ist.
Spitalkosten: Singles zahlen 50 Millionen mehr
Dass Singles sogar noch im Spital stärker zur Ader gelassen werden, musste Anita Müller erfahren. Die Zürcher Juristin war sieben Tage wegen einer Operation im Spital. Die Krankenkasse forderte per Rechnung 70 Franken extra, 10 Franken pro Spitaltag als Selbstbeteiligung bei der Verpflegung. Diesen Obolus verlangt das Krankenversicherungsgesetz von allen Patienten, bezahlen müssen ihn aber nur Singles, da der Bundesrat Familien und kinderlose Verheiratete davon befreit hat.
Müller sieht dadurch den Verfassungsgrundsatz der Gleichbehandlung aller Bürger verletzt: «Es gibt keinen Grund, zwischen kinderlos Verheirateten und Alleinstehenden zu unterscheiden.» Sie erhob Einsprache bei der Kasse. Er wurde abgelehnt. Inzwischen klagt sie vor dem Eidgenössischen Versicherungsgericht. Für die Krankenkassen steht viel auf dem Spiel: All die Zehnernötchen hospitalisierter Singles summieren sich laut Bundesrat auf 50 Millionen Franken im Jahr.
Auch im Alltag werden Alleinstehende stärker zur Kasse gebeten
Miete: Einer zahlt mehr als zwei
«Alleinstehende müssen einen grösseren Teil ihres Einkommens für Mietzinse ausgeben als Paare», sagt Dieter Marmet von der Immobilienberatungsgesellschaft Wüest & Partner AG. Das liegt zum einen daran, dass der Quadratmeterpreis bei kleinen Wohnungen höher ist als bei grossen. Schliesslich müssen Vermieter in beiden Bad und Küche einbauen. So kostet eine 1-Zimmer-Wohnung zurzeit im Schnitt fast Fr. 17.50 Monatsmiete pro m2, eine 4-Zimmer-Wohnung nur 15 Franken. Und die Miete zahlen Singles allein - im Gegensatz zu Paaren. Aber das sind sie ja längst gewöhnt - von TV-, Radio- und Kehrichtgebühren und Zeitungsabos.
Konsumartikel: Teure Kleinpackungen
Singles sind auch ein gefundenes Fressen für Supermärkte. Schliesslich wählen sie bei abgepackten Lebensmitteln wie Milch oder Butter eher die Kleinpackung. Dadurch zahlen sie im Verhältnis höhere Preise. Das bestätigt ein Vergleich des «K-Tipp» (10/05): Bei 108 von 120 Stichproben bei sechs Grossverteilern war die Kleinpackung eines Lebensmittels überproportional teurer als die grosse: Der 100-Gramm-Preis lag also höher.
Versicherungen: Rabatt gibts nur für Paare
Die meisten Versicherungen bieten Paar-Rabatte an: Die Privathaftpflichtversicherung kostet etwa bei der Zürich für ein Paar 170 Franken im Jahr, ein Single zahlt 120 Franken. Er bezahlt also 35 Franken dafür, dass er solo lebt.
GA: Singles fahren teurer
Benachteiligt sind die Alleinstehenden auch bei den SBB. Zwei Generalabonnemente (GA) kosten nämlich zusammen 4990 Franken im Jahr, vorausgesetzt die Käufer sind Ehe- oder Lebenspartner. Dann zahlt der erste 2990 Franken, der zweite nur 2000 Franken - macht pro Person 2495 Franken. Für einen Single kostet das GA hingegen 2990 Franken, obwohl jede Person in der Bahn eigentlich gleich viel Platz beansprucht.
Hotel: Unbeliebte Alleinreisende
Von Schweizer Hotels hat Esther Knöpfel seit Jahren genug. «Selbst in sehr guten Häusern habe ich sehr schlechte Erfahrungen gemacht», sagt die 63-jährige Pensionärin aus Gossau SG. Mal landete sie für 140 Franken pro Nacht im Kellerraum, mal im Bedienstetenzimmer, oft musste sie allein für ein Doppelzimmer fast so viel zahlen wie zwei Gäste, nie aber nur die Hälfte. Ihr Fazit: «Singles sind nicht willkommen.»