Ob ein Lebensmittel zu viel Pestizid- oder Düngerreste enthält, definieren die Toleranz- und Grenzwerte des Bundesamts für Lebensmittelsicherheit. Diese Werte richten sich nach den Interessen der Bauern und der Pestizidhersteller – nicht nach jenen der Konsumenten. Zwei Beispiele:
Iprodion
Das Bundesamt für Landwirtschaft hat das Pilzbekämpfungsmittel Iprodion mit der Gefahrenkennzeichnung «Verdacht auf krebserzeugende Wirkung» versehen. Der saldo-Test hat Rückstände davon in Nüsslisalat nachgewiesen. Trotzdem darf der Wirkstoff gegen Graufäule auf Kopfsalat oder zur Behandlung von Nüsslisalatsaatgut eingesetzt werden.
Greenpeace hat im Jahr 2010 total 1150 Pestizidwirkstoffe untersucht. Resultat: Iprodion ist eines jener 17 Pestizide, die «besonders gefährlich» sind und «häufig in Lebensmitteln nachgewiesen» werden. Marianne Künzle von Greenpeace sagt dazu: «Ein Mittel, das im Verdacht steht, Krebs zu erregen, hat nichts in Lebensmitteln zu suchen.»
Das Bundesamt für Landwirtschaft sieht trotzdem keinen Handlungsbedarf. Iprodion habe in Studien mit Mäusen und Ratten lediglich bei einer hohen Dosis Tumore hervorgerufen. Man habe eine tiefere Dosis als Toleranzwert bestimmt, bei der keine schädlichen Effekte mehr auftreten würden. Solange sich die Bauern an die Anwendungsregeln hielten, würde der Toleranzwert nicht überschritten.
Nur: Bei Salaten liegt dieser Wert mit 10 mg/kg Iprodion hundertmal höher als bei Blumenkohl und zweimal höher als bei Chinakohl. «Das Risiko wird massiv unterschätzt», sagt der deutsche Pestizidexperte Lars Neumeister.
Das Bundesamt für Lebensmittelsicherheit sagt, alle erlaubten Höchstmengen würden den Schutz der Gesundheit gewährleisten. Der Toleranzwert sei aber nicht «gesundheitlich begründet, sondern technisch». Bei Pestiziden würde der Wert nur gesenkt, wenn die Bauern diesen mit den üblichen Anbaumethoden erreichen könnten. Das heisst: Auf Salaten verbleiben mehr Iprodion-Rückstände als auf Blumenkohl – also wird der zulässige Toleranzwert hundertmal höher angesetzt.
Das ist kein Einzelfall: Syngenta Frankreich will den Höchstwert für das Pestizid Isopyrazam auf Tomaten und Auberginen um den Faktor 50 erhöhen. Die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit hat keine Einwände. Die Schweiz übernimmt diesen Wert. Laut Lars Neumeister legt die EU jährlich rund 40 Prozent der Höchstwerte neu fest.
Nitrat
Das Düngemittel Nitrat kann sich in Nitrit verwandeln und so krebserregend wirken. Das sagt das deutsche Bundesinstitut für Risikobewertung. Deshalb gibt es in der Schweiz Grenzwerte für Hahnenwasser oder Nüsslisalat. Nicht aber für Rucola. Die EU hat im April 2012 für Rucola Höchstwerte erlassen, die Schweiz wird laut dem Bundesamt voraussichtlich erst nächstes Jahr nachziehen. Die Folge: Heute weist Schweizer Rucola oft extrem hohe Nitratwerte auf, wie der saldo-Test zeigt.
Pikant: Bis im Jahr 2000 hatte die Schweiz deutlich strengere Nitrathöchstwerte als die EU. Dann wurden die Werte für Kopf- und Nüsslisalat von 3,5 Gramm pro Kilo auf 4,5 Gramm pro Kilo erhöht und so an das schlechtere EU-Niveau angepasst. Dies forderten damals die Schweizer Gemüseproduzenten.
Zwar schrieb das Bundesamt für Gesundheit, die höheren Werte würden zu einer um fünf bis zehn Prozent höheren Nitratkonzentration sowie zu einem schlechteren Umweltbewusstsein der Landwirte führen. Das Amt stimmte dem höheren Wert trotzdem zu. Die Begründung: Die Schweizer würden weniger Salat essen, deshalb sei das nicht so schlimm.