Schweizer Bauern: Extrem teuer und dennoch zu wenig umweltfreundlich
Der Schweizer Haushalt subventioniert die Bauern mit 2500 Franken pro Jahr. Das ist viel mehr, als nötig wäre.
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saldo 07/2011
10.04.2011
Letzte Aktualisierung:
12.04.2011
Bertolami
Die Bauern sind privilegierter als alle andern: Die Steuerzahler garantieren ihr Einkommen faktisch auf Jahre hinaus. Unter dem Titel Agrarpolitik 2014–2017 hat der Bundesrat Ende März die künftigen Direktzahlungen festgelegt: 2,8 Milliarden Franken erhalten die Bauern jedes Jahr bar auf die Hand.
Dazu kommen weitere Ausgaben von Bund, Kantonen und Gemeinden. Insgesamt summieren sich die Subventionen auf etwa 3,5 Milliarden. Das macht pro Haushalt und Jahr übe...
Die Bauern sind privilegierter als alle andern: Die Steuerzahler garantieren ihr Einkommen faktisch auf Jahre hinaus. Unter dem Titel Agrarpolitik 2014–2017 hat der Bundesrat Ende März die künftigen Direktzahlungen festgelegt: 2,8 Milliarden Franken erhalten die Bauern jedes Jahr bar auf die Hand.
Dazu kommen weitere Ausgaben von Bund, Kantonen und Gemeinden. Insgesamt summieren sich die Subventionen auf etwa 3,5 Milliarden. Das macht pro Haushalt und Jahr über 1000 Franken aus. Doch damit nicht genug:
Die hohen Zölle an der Grenze für Importe haben zur Folge, dass die Lebensmittelpreise in der Schweiz viel höher sind als im übrigen Europa – auch deutlich höher als in den Nachbarländern.
Eine Studie der Interessengemeinschaft Detailhandel errechnete gegenüber Deutschland, Italien, Frankreich und Österreich ein 23 Prozent höheres Preisniveau.
Ein noch grösseres Preisgefälle zu den vier Nachbarländern ermittelte das Bundesamt für Landwirtschaft mit einem Plus von etwa 30 Prozent. Allesamt Zahlen vor dem Wertverlust des Euro. Dieser vergrössert den Preisunterschied um wei-tere 10 bis 12 Prozent – auf insgesamt 35 Prozent oder noch etwas mehr.
Was bedeutet das für den Schweizer Durchschnittshaushalt? Er gibt laut Bundesamt für Statistik jährlich gegen 8000 Franken für Nahrungsmittel und alkoholfreie Getränke aus. Die um 35 Prozent höheren Preise bedeuten somit Mehrausgaben pro Haushalt von etwa 2100 Franken.
Feinstaub: Keine strengeren Vorschriften für Land- und Forstwirte
Man kann einwenden, dass die Schweiz ganz allgemein ein teures Land ist und deshalb die Nahrungsmittelpreise auch nach Öffnung der Grenzen für Agrarprodukte nie auf das Niveau der vier Nachbarländer sinken würden:
Doch wenn auch nur ein Drittel des Preisunterschieds bestehen bliebe, könnten die Schweizer Haushalte im Vergleich zu heute etwa 1400 Franken pro Jahr sparen.
Anders ausgedrückt: Sie bezahlen heute 1400 Franken zu viel. Zusammen mit den Steuern subventionieren sie die Bauern mit rund 2500 Franken pro Jahr.
Ist das vielleicht der Preis, den Schweizer Konsumenten und Steuerzahler für eine besonders naturnahe Landwirtschaft zahlen müssen? So sehen es die Bauern selbst. Doch die Schweizer Landwirtschaft ist bei weitem nicht so umweltfreundlich, wie sie sich gibt.
Vor fünf Jahren machte etwa der Feinstaub Schlagzeilen. Jährlich fordere er 3700 Todesopfer und verursache Gesundheitskosten von 4,2 Milliarden Franken, so hiess es. Als grösste Feinstaubsünder hatte das Bundesamt für Umwelt die Bauern identifiziert – mit 37 Prozent aller Feinstaubemissionen.
Im Detail: 17 Prozent von Maschinen und Geräten, 11 Prozent von der Nutztierhaltung, 7 Prozent von der Abfallentsorgung und 2 Prozent von der Gastrocknung. Der damalige Bundesrat Moritz Leuenberger sagte im Nationalrat:
«Die Verschmutzung der Luft durch Feinstaub ist das zentrale Problem für Umwelt und Gesundheit. Alle Quellen müssen deswegen dazu beitragen, die Gesamtemissionen zu reduzieren.» Alle? Vergangenen September meldete die Zeitung «Schweizer Bauer» befriedigt:
«Bundesrat verzichtet auf Partikelfilter bei Traktoren.» Aus Gründen der angespannten wirtschaftlichen Lage der Landwirtschaft würden keine strengeren Vorschriften für land- und forstwirtschaftliche Maschinen erlassen.
Tierschutz: Österreich kennt ähnlich strenge Richtlinien
In ihrem Buch «Agrarpolitische Mythen» schreiben Priska Baur und Hans Rentsch: «Die Nahrungsmittel sind in der Schweiz nicht deshalb teurer, weil sie besonders ökologisch produziert werden.»
Sie belegen dies mit der hohen Umweltbelastung durch die Landwirtschaft: Überdüngung, Anreicherung der Böden mit Schwermetallen, erhöhte Phosphorgehalte in Gewässern, Belastung des Grundwassers mit Nitrat, Pflanzenschutzrückstände im Trinkwasser.
Im Ergebnis schneide die Schweizer Landwirtschaft nicht besser ab als vergleichbare Länder. Ist sie wenigstens im Tierschutz führend? Laut einer Studie des Bundesamts für Veterinärwesen sind die hiesigen Gesetze für die Nutztierhaltung zwar in den meisten Fällen bedeutend strenger als die EU-Richtlinien.
Doch diese geben nur die Minimalstandards vor; die Bestimmungen in den einzelnen Ländern sind sehr unterschiedlich. So schneiden Frankreich, Spanien und Polen deutlich schlechter ab als die Schweiz.
Deutschland geht in der EU einen Mittelweg. Und «Österreich weist ein ähnliches Niveau auf wie die Schweiz – einzelne Vorgaben sind sogar strenger», so die Studie.
«Das Bauernsterben hat sich nach dem EU-Beitritt verlangsamt»
Als Österreich 1995 der EU beitrat, glaubten die dortigen Bauern, dass sie von der ausländischen Konkurrenz überrollt würden – wie die Schweizer Bauern heute, die sich gegen den Agrarfreihandel mit der EU wehren.
Zwar mussten Österreichs Bauern die Preise massiv senken. Die Produzentenpreise sind heute oft nicht mal halb so hoch wie in der Schweiz (siehe Tabelle im pdf-Artikel). «Doch jene, die damals den Weltuntergang heraufbeschworen, haben sich gründlich getäuscht.
Der Beitritt zur EU hat sich für unsere Bauern gelohnt», sagt der ehemalige Landwirtschaftsminister Franz Fischler im Rückblick, «das Bauernsterben in Österreich hat sich nach dem EU-Beitritt verlangsamt.»
Das Land widerlegt praktisch alle Behauptungen, welche Schweizer Bauern gegen die Öffnung der Grenzen und tiefere Preise ins Feld führen:
- Die Auslandkonkurrenz hat Familienbetriebe nicht ausradiert. Die durchschnittliche Betriebsgrösse ist mit 19 Hektaren nur minim grösser als in der Schweiz.
- Die Einfuhren von landwirtschaftlichen Erzeugnissen sind zwar gestiegen, noch mehr aber die Exporte. Unter dem Strich bleibt ein Defizit von 18 Prozent, das kleiner ist als jenes der Schweiz mit 37 Prozent.
- Der Selbstversorgungsgrad ist zwar bei einigen pflanzlichen Produkten gesunken. Bei Milch, Käse und teilweise beim Fleisch ist er hingegen gestiegen.
Die Agrarpolitik 2014–17, die der Bundesrat kürzlich vorstellte, bringt weder für die Schweizer Steuerzahler noch für die Konsumenten eine Entlastung. Sie möchte immerhin eine ökologischere Ausrichtung der Landwirtschaft erreichen.
Doch dagegen läuft die Bauernlobby bereits Sturm. Für Hansjörg Walter, Thurgauer SVP-Nationalrat und Präsident des Bauernverbands, gewichtet der Bundesrat die Ökologie zu stark und das Einkommen der Bauern zu schwach.