Die Begrüssung fällt knapp aus, als die Ärztin im Kantonsgericht Schaffhausen auf ihre ehemalige Patientin trifft. Nun warten beide im Vorzimmer. Bis zur Verhandlung dauert es noch einige Minuten. Sie wechseln kein Wort miteinander.
Im Gerichtssaal sprechen die Anwälte. Zuerst der Anwalt der Patientin. Sie war mit 54 Jahren operiert worden. Der Eingriff in einer Privatklinik sei missglückt, sagt der Anwalt. Die Chirurgin habe den der Patientin entstandenen Schaden zu ersetzen – insbesondere den Lohnausfall durch die Arbeitsunfähigkeit bis zur Pensionierung. Das Total soll ein vom Gericht anzuordnendes Gutachten festlegen, fordert der Anwalt.
Die Frau arbeitete als Buchhalterin. Nach der Operation verlor sie ihre Stelle. Sie ist bis heute zu mindestens 50 Prozent arbeitsunfähig. Trotz 305 Stellenbewerbungen innert zweieinhalb Jahren fand sie keinen neuen Job. Sie lebt jetzt von einer halben Rente der Invalidenversicherung, Ergänzungsleistungen und Sozialhilfe. Der Anwalt geht von mehr als 600 000 Franken Schadensumme aus.
Auslöser der Operation war ein nächtliches Kribbeln mit leichten Taubheitsgefühlen in den Fingern der rechten Hand. Manchmal liess die Frau auch unbeabsichtigt Gegenstände fallen.
Bei einem leichten Karptaltunnelsyndrom das Skalpell gezückt
Als Ursache wurde eine Verengung des Karpaltunnels – ein Kanal für Sehnen und Nerven im Bereich des Handgelenks – ausgemacht. Dabei entsteht Druck auf einen wichtigen Nerv. Leichte Fälle des Karpaltunnelsyndroms werden mit einer nächtlichen Schiene zur Ruhigstellung therapiert, dazu kommen allenfalls Kortisonspritzen. Wenn alles nichts nützt und Lähmungserscheinungen auftreten, ist gemäss anerkannter Lehre zu prüfen, ob die Verengung durch eine Operation beseitigt werden soll.
Doch die Frau wurde sofort operiert. Nach einem Reitunfall stand ohnehin eine Schulteroperation an. Da es sich bei der Handoperation um einen «reinen Routineeingriff» handle, könne man gleich beides machen, sagte die Ärztin. Die Patientin macht geltend, sie habe mehrfach nachgefragt: «Die Ärztin sass da und ich insistierte, ob die Operation wirklich sein müsse. Sie antwortete stets, ja, das müsse sein.»
Anderthalb Stunden operierte der Schulterspezialist, anschliessend erledigte die Handchirurgin die Karpaltunneloperation in zwanzig Minuten. Andere Spezialärzte fanden später Nervenverletzungen und ein komplexes regionales Schmerzsyndrom. Einer taxierte die Kombination der beiden Eingriffe als «fragwürdig».
Laut dem Anwalt der Patientin war der Eingriff «widerrechtlich», weil es an einer gültigen Zustimmung der Patientin fehlte. Alternativen seien mit keinem Wort erwähnt worden. Zudem habe die Chirurgin die Operation mangelhaft ausgeführt.
Ärztin änderte die Krankengeschichte nachträglich ab
Die Anwältin der Ärztin und ihrer Haftpflichtversicherung Axa wollen davon nichts wissen. Sie beantragen, die Klage abzuweisen. Ein ärztlicher Kunstfehler sei nicht belegt und die angeblich mangelhafte ärztliche Aufklärung nicht relevant. Es sei davon auszugehen, dass die stets folgsame Patientin auch im Wissen um Alternativbehandlungen und Risiken in die Operation eingewilligt hätte.
Damit umgeht die Anwältin elegant eine unfeine Trickserei der Ärztin: Als sich ein Gerichtsfall abzeichnete, setzte sich die Chirurgin nochmals an den Computer. Sie ergänzte die Krankengeschichte und hielt fest, die Operation erfolge «auf expliziten Wunsch der Patientin». Das Datum der Änderungen – lange nach der Operation – wurde automatisch aufgezeichnet. Die Ärztin behauptete dann kühn, es sei das Druckdatum. Eine Nachfrage beim Softwareanbieter für die Krankengeschichte ergab jedoch, dass das falsch war.
Das Urteil folgt per Post. Das Kantonsgericht weist die Klage ab. Es geht wie der Anwalt der Beklagten von einer sogenannt «hypothetischen Einwilligung der Patientin zur Operation» aus. Die Klägerin habe «nicht glaubhaft dargetan, dass sie auf eine Operation verzichtet hätte, wenn sie um die alternativen Behandlungsmethoden gewusst hätte». Deshalb begründe die ungenügende ärztliche Aufklärung keine Haftung. Auch ein Kunstfehler sei nicht nachgewiesen. Die Patientin ist mit dem Urteil nicht einverstanden. Sie zieht den Fall ans Obergericht des Kantons Schaffhausen weiter.
Hürden auf dem Weg zum Schadenersatz
Ein Arzt wird nicht bei jedem missglückten Eingriff schadenersatzpflichtig. Tritt «bloss» eine zu befürchtende Komplikation auf, kann er nicht belangt werden. Ärzte haften also nur, wenn sie gegen die Regeln und Standards der ärztlichen Kunst verstossen haben. Problematisch daran: Es obliegt dem Patienten, eine solche Sorgfaltspflichtverletzung nachzuweisen. Oft ist der Beweis nur schwer zu erbringen. Klären Ärzte vor Operationen jedoch nur ungenügend über die Risiken auf, haften sie grundsätzlich für alle Komplikationen. Allerdings bleibt ihnen eine Hintertür. Sie behaupten, der Patient hätte ohnehin Ja gesagt: Dann muss der Patient das Gegenteil beweisen.