Nelly Z. aus Bern schlief oft schlecht. Wenn sie nachts wach im Bett lag, plagten sie Schmerzen, Sorgen und die Trauer um den verstorbenen Ehemann. Der Arzt verschrieb ihr das Schlafmittel Temesta. «So konnte ich sieben Stunden durchschlafen», schildert die Rentnerin ihre Situation.
Die 81-Jährige ist kein Einzelfall: Ärzte verschreiben bei Schlafproblemen am häufigsten Medikamente wie Temesta oder Seresta – sogenannte Benzodiazepine. Das zeigt eine aktuelle Studie der Universität Bern mit 2400 Patienten aus Schweizer Hausarztpraxen.
Doch Fachleute warnen schon lange davor, regelmässig Schlafmittel zu schlucken. Der Arzt Etzel Gysling, Herausgeber der Fachzeitschrift «Pharma-Kritik», sagt: «Das sollte man unbedingt vermeiden.» Auch der Schlafforscher Christian Cajochen von der Universität Basel sagt: «Medikamente lösen das Problem nicht auf Dauer.» Im Gegenteil – sie seien sogar nachteilig.
Benzodiazepine: Vor allem für ältere Leute gefährlich
Vor allem Benzodiazepine wie Dormicum oder Seresta sind riskant. Denn sie machen schnell abhängig. Das kann schon nach vier Wochen der Fall sein – selbst wenn man nur kleine Mengen schluckt. Ältere Personen sollten besonders vorsichtig sein. Die Tabletten trüben das Bewusstsein, verwirren und führen zu Stürzen, weil sie die Muskeln schwächen (siehe Tabelle im PDF).
Nicht besser sind die neueren Z-Medikamente wie Imovane oder Stilnox. Z-Medikamente ist die Bezeichnung für eine Wirkstoffgruppe, zu denen Zolpidem und Zopiclon zählen. Sie verursachen dieselben Probleme wie Benzodiazepine. Gysling rät, Medikamente aus beiden Gruppen «höchstens gelegentlich» zu nehmen und nur bei starken Schlafstörungen. Am besten seien noch Mittel, die möglichst kurz wirken, etwa Stilnox und dessen Generika oder Temesta.
Älteren Leuten verschreiben Ärzte oft auch Antidepressiva, die müde machen, wie Remeron oder Trittico. Vorteil: Sie machen nicht abhängig. Doch auch sie haben Nebenwirkungen – etwa unruhige Beine während der Nacht. Zudem ist unklar, wie gut sie wirken. Zu diesem Schluss kam das unabhängige Forschernetzwerk Cochrane. Etzel Gysling hält diese Mittel nur dann für sinnvoll, wenn die Schlafprobleme durch eine Depression verursacht werden. Auch Pillen mit dem Schlafhormon Melatonin sind nur bei wenigen Patienten sinnvoll. Ärzte verschreiben sie dann, wenn der Schlafrhythmus gestört ist. Bis heute ist unklar, ob die Pillen langfristig nützen.
In vielen Fällen helfen einfache Schlafmittel aus der Apotheke, für die man kein Rezept vom Arzt braucht. Dazu gehören Benocten oder Sanalepsi. Sie enthalten einen Wirkstoff gegen Allergien, der müde macht. Doch langfristig können solche Antihistaminika bei älteren Leuten das Gedächtnis verschlechtern.
Besser verträglich sind Mittel mit Pflanzenextrakten wie Baldrian, Hopfen oder Melisse. Es ist zwar nicht nachgewiesen, dass sie wirken. Doch viele Patienten machen damit gute Erfahrungen – so auch Nelly Z. Statt Temesta nahm sie das Pflanzenmittel Calmedoron. Das half. «Heute kann ich wieder ohne Medikamente gut schlafen», sagt sie.
Eine gute Alternative sind auch Präparate mit Cannabis. Im Gegensatz zu anderen Pflanzen können CBD-Tropfen und -Öle allerdings auch Nebenwirkungen wie Durchfall oder Unruhe verursachen.
Verhalten im Alltag ändern bringt am meisten
Fachleute sind sich einig. «Langfristige Schlafprobleme löst man am besten ohne Medikamente», sagt Christian Cajochen. Oft helfen einfache Tipps. So sollte man nicht aus Gewohnheit oder Langeweile zu früh ins Bett gehen. Im Alter ist der Schlaf oft kürzer und nicht mehr so tief. Wer schlecht schläft, sollte tagsüber auf ein Nickerchen verzichten. Stattdessen sollte man sich viel bewegen. So ist man am Abend müde. Bei dauerhaften Problemen kann eine Verhaltenstherapie in einem Schlafzentrum helfen.
Die Hersteller der Schlafmittel verweisen auf die Packungsbeilage. Die Firma MSD schreibt, dass Remeron nur für Depressionen zugelassen sei und sie es ausdrücklich nur dafür empfehle. Laut Medinova soll man Benocten höchstens zwei Wochen lang einnehmen. Ältere Patienten sollten die Anwendung mit dem Arzt besprechen.
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