Pestizide im Gemüse: Nur die Bio-Produkte schneiden gut ab
Ein saldo-Test zeigt: Fast alle Gemüse enthalten Pestizidrückstände, zum Teil gleich einen ganzen Cocktail. Schlecht schnitt vor allem importierte Ware ab.
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saldo 2/2006
01.02.2006
Claudine Gaibrois
Besonders in der kalten Jahreszeit setzen viele Menschen regelmässig frisches Gemüse auf den Menüplan. Ausser gesunden Inhaltsstoffen enthält das Grünzeug aber häufig auch Rückstände von Pflanzenschutzmitteln. saldo wollte wissen, welche und wie viele, und liess Gurken, Peperoni, Broccoli, Kartoffeln, Kopfsalat und Karotten von einem anerkannten Labor auf rund 200 Pestizide untersuchen. Von jeder Gemüsesorte wurden jeweils zwei Proben eingekauft - bei den beiden Grossverteilern Coop und...
Besonders in der kalten Jahreszeit setzen viele Menschen regelmässig frisches Gemüse auf den Menüplan. Ausser gesunden Inhaltsstoffen enthält das Grünzeug aber häufig auch Rückstände von Pflanzenschutzmitteln. saldo wollte wissen, welche und wie viele, und liess Gurken, Peperoni, Broccoli, Kartoffeln, Kopfsalat und Karotten von einem anerkannten Labor auf rund 200 Pestizide untersuchen. Von jeder Gemüsesorte wurden jeweils zwei Proben eingekauft - bei den beiden Grossverteilern Coop und Migros in den Städten Basel, Bern und Zürich.
Die wichtigsten Ergebnisse: Praktisch alle untersuchten Gemüse enthielten Rückstände von Pflanzenschutzmitteln. Die grosse Ausnahme: die drei Proben aus biologischem Anbau. Sowohl die inländischen Bio-Karotten und die Bio-Peperoni aus Israel von der Migros als auch der Bio-Kopfsalat aus Frankreich von Coop waren rückstandsfrei. Das ist nicht überraschend: Auch die kantonalen Laboratorien finden in Bio-Gemüse kaum je Pestizide.
Besonders schlecht schnitten hingegen die Gemüse aus Spanien ab. Bei Migros und Coop eingekaufte Gurken und Peperoni aus dem südeuropäischen Land enthielten Rückstände von vier bis sechs verschiedenen Pestiziden gleichzeitig. Das kann für die Gesundheit problematisch sein. Zudem wurden diese Proben teilweise mit Spritzmitteln behandelt, die in der Schweiz für diese Gemüsesorten nicht zugelassen sind.
Ungenügend fiel auch die Beurteilung des italienischen Kopfsalats aus der Migros aus: Der Toleranzwert für das Pilzbekämpfungsmittel Propamocarb wurde knapp überschritten. Allerdings liegt die Überschreitung im Bereich der Messunsicherheit. Die Probe kann daher nach rechtlichen Massstäben nicht beanstandet werden, sagt der Berner Kantonschemiker Otmar Deflorin.
Über die Langzeitwirkung der Stoffe ist wenig bekannt
Trotzdem kann bei diesem hohen Wert «eine gesundheitliche Gefährdung nicht mehr ausgeschlossen werden», betont Christoph Wiedmer von Greenpeace Schweiz. Er stellt grundsätzlich in Frage, ob auch bei Einhaltung der Grenzwerte eine gesundheitliche Schädigung wirklich auszuschliessen ist: «Über die Langzeitwirkung der Stoffe wissen wir vielfach zu wenig. Pestizide, die heute noch als unbedenklich gelten, können morgen aufgrund neuerer Erkenntnisse bereits als gefährlich eingestuft werden.»
Giftiges Endosulfan in drei Gemüseproben enthalten
Einzelne der gefundenen Stoffe sind zudem bereits nach dem heutigen Wissensstand als gesundheitlich problematisch zu beurteilen - auch wenn sie die Toleranzwerte nicht überschreiten: Das in den beiden Gurkenproben von Coop in einer relativ hohen Konzentration und in der Peperoniprobe aus der Migros in einer schwachen Menge gefundene Insektizid Endosulfan zum Beispiel gilt als akut giftig. Die Weltgesundheitsorganisation WHO beurteilt die Substanz als «mittelgefährlich». Das Pesticide Action Network (PAN) - ein weltweites Netzwerk von über 600 Organisationen - hat Endosulfan darum auf seine schwarze Liste gesetzt, ebenso das Pilzbekämpfungsmittel Procymidon. Diese krebserregende Substanz wurde in der Gurkenprobe aus der Zürcher Coop-Filiale gefunden. Auch das in beiden Gurken und in den Peperoni in relativ hohen Dosen gefundene Insektizid Imidacloprid, das für diese Gemüsearten in der Schweiz nicht zugelassen ist, ist gemäss PAN «in mittlerem Mass giftig» und wird von der WHO als «mittelgefährlich» eingestuft.
Pestizid-Cocktails: Den Kantonslabors ein Dorn im Auge
Ein besonderes Problem sind aus gesundheitlicher Sicht die zunehmenden Mehrfachbelastungen von Gemüse mit Pestiziden. Christoph Wiedmer: «Neben der wenig erforschten Langzeitwirkung wissen wir erst recht nicht, ob sich diese Stoffe bei einer gleichzeitigen Einnahme nicht noch gegenseitig verstärken.» Insbesondere die Peperoniprobe aus der Migros Zürich und die Gurkenproben von Coop sind darum aus der Sicht des Greenpeace-Experten «bedenklich». Das Kantonale Labor Zürich interveniert deshalb auch bei Anbietern, wenn in einem Gemüse sechs und mehr Rückstände von Pestiziden gefunden werden.
Den kantonalen Laboratorien ist der Trend zu Pestizid-Cocktails generell ein Dorn im Auge. Der Berner Kantonschemiker Deflorin: «Es entspricht nicht den Erwartungen der Konsumenten, dass so viele verschiedene Pflanzenschutzmittel aufs Mal auf einem Gemüse eingesetzt werden.» Doch gegen die Belastung einzelner Gemüseproben mit vier und mehr Pestiziden können die Kantonslabors nichts unternehmen: Solange der Toleranzwert für die einzelnen Stoffe nicht überschritten ist, erlaubt das Gesetz solche Pestizid-Cocktails.
Importware: Mehr Rückstände als Schweizer Produkte
Dieser Umgehung der gesetzlich festgelegten Höchstkonzentrationen müsse aber ein Riegel geschoben werden, sagt Deflorin: «Wir fordern, dass das zuständige Bundesamt für Gesundheit für die Summe der enthaltenen Pestizide einen Höchstwert festlegt.» Bei den Behörden kommt
diese Forderung gar nicht an. «Ein solcher Höchstwert ist nur sinnvoll, wenn die Wirkung der einzelnen Stoffe auf den menschlichen Körper dieselbe ist. Ist das nicht der Fall, werden unterschiedlichste Wirkstoffe zusammengezählt, die nichts miteinander zu tun haben», sagt BAG-Pestizidspezialist Claude Wüthrich.
Die Ergebnisse des saldo-Tests bestätigen auch, dass Importware generell stärker mit Pestiziden belastet ist. Im Jahr 2004 enthielten von den gesamtschweizerisch 5500 untersuchten Proben von Früchten, Gemüse und Honig 64 Prozent der ausländischen Ware Rückstände. Bei den Schweizer Produkten betrug der Anteil nur 40 Prozent. Dass im saldo-Test die Gemüse aus Spanien besonders viele Pestizide enthielten, überrascht Greenpeace-Mann Wiedmer deshalb nicht: «Das Land hat die Landwirtschaft massiv industrialisiert und setzt grosse Mengen an Pestiziden ein.»
Peperoni und Salat regelmässig zu stark belastet
Wenig überraschten auch die durch das Labor gefundenen Stoffe: Den Keimhemmer Chlorpropham etwa finden kantonale Laboratorien häufig in Kartoffelproben. Und die Peperoni rangieren regelmässig unter den stark belasteten Gemüsesorten. Das Kantonale Labor Zürich etwa fand im Jahr 2004 in 85 Prozent der Peperoniproben aus Zürich und der Ostschweiz Rückstände. 10 Prozent dieser Proben mussten wegen Überschreitungen von Toleranzwerten beanstandet werden. Auch Chemie-Cocktails wurden häufig gefunden - in einem Fall gar in einer Probe neun Pestizide aufs Mal. Wie im saldo-Test waren auch in dieser Untersuchung die Bio-Peperoni rückstandsfrei.
Ein Dauerbrenner ist die starke Belastung von Salat im Winter. Dieser wird im Gewächshaus gezogen. Weil diese Anbauart sehr aufwändig ist, setzen die Gemüseproduzenten generell mehr Pestizide ein als im Freiland.
Das Kantonale Labor Zürich hat im Jahr 2004 in 24 von 35 konventionell angebauten Salaten Rückstände gefunden. Das Kantonslabor Basel-Stadt musste letztes Jahr gar 19 Prozent der 97 untersuchten Salatproben beanstanden, was eine «auffällig hohe Zahl» sei.
Grossverteiler geben den schwarzen Peter weiter
Die Grossverteiler berufen sich in ihren Stellungnahmen auf die Gesetze. Zur Peperoniprobe, die mit sechs verschiedenen Pestiziden gleichzeitig behandelt wurde, sagt Migros-Mediensprecher Urs Peter Naef: «In der Schweiz gibt es keine gesetzliche Grundlage, die den gleichzeitigen Einsatz mehrerer Pestizide regelt.» Migros habe allerdings letztes Jahr einen Prüfplan eingeführt, mit dem die Reduktion der Anzahl Pestizide erreicht werden soll. Entsprechende Strafmassnahmen würden seit Anfang dieses Jahres angewendet. Und die beiden Stoffe auf der Peperoniprobe, welche in der Schweiz nicht zugelassen sind, seien im Herkunftsland Spanien erlaubt: «Aus diesem Grund sind auch keine Beanstandungen durch die kantonalen Vollzugsbehörden zu erwarten.»
Coop empfiehlt Bio-Gemüse als Alternative
Gleich argumentiert Coop: Der auf den Gurken gefundene Stoff Imidacloprid sei zwar in der Schweiz für dieses Gemüse nicht erlaubt, dafür aber im Herkunftsland Spanien. Dort gelte ein Höchstwert von 0,1 Milligramm pro Kilogramm (mg/kg). Die gefundenen Werte - 0,03 und 0,04 mg/kg - lägen unter diesem Wert. Daraus schliesst Coop nach Aussage von Mediensprecher Jörg Birnstiel: «Die Proben sind in Ordnung.» Zu den gefundenen Cocktails meint Birnstiel, diese Mittel würden in der konventionellen Landwirtschaft nun mal eingesetzt. Im Bio-Landbau sei das nicht der Fall. Die Coop-Kundschaft habe die Wahl zwischen beiden Produktionsarten.
Lesen Sie in der nächsten Ausgabe: Wie viele Vitamine hat es im Gemüse tatsächlich drin?
So wurde die Bewertung vorgenommen
Als Erstes überprüfte saldo, ob die Pestizidrückstände den gesetzlich erlaubten Toleranz- oder gar Grenzwert überschreiten. War dies der Fall, gab es Abzüge bei der Bewertung. Ein weiteres Kriterium war die Zahl der gefundenen Pestizide pro Probe. Je mehr verschiedene Substanzen vorhanden waren, desto mehr Strafpunkte wurden verteilt. Weiter berechnete saldo bei jeder Probe die Summe aller Rückstände. Auch hier gab es Abzüge für hohe Gesamtmengen an Pestiziden. Diese Bewertung orientiert sich an der Forderung der Kantonschemiker nach der Schaffung eines Gesamttoleranzwerts für Pestizidrückstände (siehe Text).
Ins Gewicht fiel bei der Beurteilung ausserdem, ob ein Wirkstoff für den Einsatz auf dem entsprechenden Gemüse erlaubt ist oder nicht. Der Verstoss gegen die Vorschriften wurde mit Abzug bestraft.
Tipps zur Vermeidung von Pestiziden
- Saisongerecht einkaufen hilft, die häufig besonders stark belasteten Gemüse aus dem Gewächshaus zu vermeiden.
- Wer einheimisches Gemüse bevorzugt, verkleinert das Risiko einer hohen Pestizidbelastung.
- Bis zu einem gewissen Grad lassen sich Pestizide durch Waschen und Schälen entfernen. Gerade bei Gemüse mit dünner Schale sind die Rückstände allerdings auch im Innern enthalten.
- Wer ganz auf Pestizidrückstände in Gemüse verzichten will, wählt am besten Bio-Ware.