Natur und Chemie vertragen sich nicht immer
Medikamente aus Pflanzen können die Wirkung anderer Medikamente hemmen oder verstärken. saldo nennt die wichtigsten Kombinationen, bei denen Vorsicht geboten ist.
Inhalt
saldo 03/2013
20.02.2013
Andreas Grote
Gerade bei leichten Beschwerden wie Husten, Erkältung, Kopfschmerzen oder Schlafstörungen greifen Betroffene gerne zu Mitteln aus der Pflanzenwelt. Sie haben in der Regel weniger Nebenwirkungen als die Medikamente aus dem Labor. Doch aufgepasst: Viele Pflanzenextrakte können die Wirkung anderer Medikamente stören.
Dies bestätigt nun eine grosse Untersuchung aus Taiwan, die im renommierten Fachblatt «International Journal of Clinical Practice» pu...
Gerade bei leichten Beschwerden wie Husten, Erkältung, Kopfschmerzen oder Schlafstörungen greifen Betroffene gerne zu Mitteln aus der Pflanzenwelt. Sie haben in der Regel weniger Nebenwirkungen als die Medikamente aus dem Labor. Doch aufgepasst: Viele Pflanzenextrakte können die Wirkung anderer Medikamente stören.
Dies bestätigt nun eine grosse Untersuchung aus Taiwan, die im renommierten Fachblatt «International Journal of Clinical Practice» publiziert wurde. Die Forscher der China Medical School in Taiwan recherchierten in medizinischen Datenbanken und werteten bestehende Untersuchungen und Studien aus. Ihr Befund: Mehr als 200 pflanzliche Heilmittel verstärken oder hemmen die Wirkung von Medikamenten. Allerdings genügten nicht alle Studien den Kriterien für einen starken Beleg: Entweder waren die Untersuchungen mit nur wenigen Patienten gemacht, betrafen Versuche an Tieren oder die Dosis der Pflanzenextrakte war zu hoch (siehe Tabelle).
Johanniskraut vermindert die Wirkung gewisser Herzmittel
Der Arzt Wolfgang Becker-Brüser vom unabhängi-
gen deutschen «Arznei-Telegramm» sagt deshalb: «Wirklich relevant für Patienten dürften nur sehr wenige Kräutermittel sein.» Eines der bedeutendsten ist das Johanniskraut, das gegen depressive Verstimmungen und leichte Depressionen hilft. Zahlreiche Untersuchungen an Menschen zeigen, dass es den Abbau bestimmter Medikamente im Körper beschleunigt und damit verhindert, dass sie optimal wirken können. Schlucken Patienten zum Beispiel Johanniskrautextrakte zusammen mit Digoxin gegen Herzschwäche, sinkt dessen Menge im Blut um 25 Prozent. Das hat Folgen. Ingolf Cascorbi vom Institut für experimentelle und klinische Pharmakologie am Universitätsklinikum Schleswig-Holstein in Kiel (D) sagt: «Die Patienten leiden dann immer noch an der Herzschwäche.»
Johanniskraut setzt auch die Wirkung von anderen Antidepressiva oder des Schmerzmittels Amitryptilin um etwa 20 Prozent herab. Zudem hemmt es die Antibabypille oder Cholesterinsenker mit dem Wirkstoff Simvastatin. Das Institut für Klinische Pharmakologie und Toxikologie am Universitätsspital Zürich kommt zum Schluss, dass Johanniskraut noch viele andere Medikamente stören könnte, weil «etwa 60 Prozent aller Medikamente ähnlich aufgebaut sind».
Genau die gegenteilige Wirkung haben Grapefruits und Bitterorangen. Untersuchungen um den kanadischen Forscher David G. Bailey von der Universität in Ontario zeigen: Schon ein Glas Grapefruitsaft verlangsamt den Abbau bestimmter Medikamente im Körper (siehe saldo 11/10). Diese Wirkung tritt auch ein, wenn man den Saft mehrere Stunden vor Einnahme der Medikamente trinkt. Wenn man regelmässig Grapefruitsaft trinke, so Bailey, addiere sich der Effekt sogar.
Grapefruitsaft verstärkt den Wirkstoff bis auf das Dreissigfache
Gemäss den Untersuchungen von Bailey verstärkt Grapefruitsaft auf diese Weise über 85 Arzneimittel, bei 43 davon könne dies schwere Folgen haben. Beispiel Blutverdünner: Grapefruitsaft kann im Körper bewirken, dass die Dosis um bis das Dreifache erhöht ist. Dadurch steigt das Risiko von Blutungen. Der Wirkstoff des Cholesterinsenkers Simvastatin kann auf diese Weise um das Zwölffache erhöht sein, das Allergiemittel Terfenadin gar um das Dreissigfache.
Warnungen dazu sind in den Beipackzetteln der Medikamente nur spärlich enthalten. Wolfgang Becker-Brüser nimmt daher Patient und Arzt in die Verantwortung: «Oft weiss der Arzt gar nicht, dass sein Patient noch pflanzliche Produkte nimmt.» Deshalb sollten im Arztgespräch alle Medikamente, also auch die Pflanzenpräparate, zur Sprache kommen. Zudem sollten die Ernährungsgewohnheiten der Patienten thematisiert werden. Die Heilpraktikerin Heidi Schönenberger von der Naturärzte Vereinigung der Schweiz sagt, Therapeuten hätten immer die Möglichkeit, auf ein pflanzliches Präparat auszuweichen, das mit dem betreffenden Medikament nicht reagiere.
Hinweise auf Wechselwirkungen fehlen oft
Daniel Lüthi von der Heilmittelbehörde Swissmedic beruft sich auf die Packungsbeilagen: Alle Arzneimittel mit dem Inhaltsstoff Johanniskraut enthielten Warnhinweise zu den Wechselwirkungen. Gleiches gelte für Produkte mit Extrakten aus Ginseng oder Ginkgo. Auch viele Echinacea-Präparate weisen in der Patienteninformation darauf hin, dass Wechselwirkungen mit Abwehr-Unterdrückern möglich sind. Gebro Pharma wiederum schreibt auf der Packungsbeilage der Hova-Baldrian-Filmtabletten immerhin, dass Patienten die Einnahme weiterer Beruhigungs- und Schlafmittel vermeiden sollten.
Doch nicht alle Hersteller warnen die Patienten: So weist Vifor bei seinem Hustenmittel Pectocalmine mit dem pflanzlichen Wirkstoff Ephedra nicht auf mögliche Beeinträchtigungen von Antidepressiva hin. Und auf dem Novartis-Hustenmittel Tossamin fehlt der Hinweis, dass Patienten den Wirkstoff Ephedrin nicht nebst Herzmedikamenten einnehmen sollten. Novartis meint dazu, es sei Sache der Patienten, ihren Arzt über andere eingenommene Medikamente zu informieren.
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