Mehr als ein Drittel aller Organentnahmen findet heute bei Spendern statt, die einen Herz- Kreislauf-Stillstand erlitten. 2021 betrug der Anteil 34 Prozent. 2015 lag er bei 11 Prozent, 2010 bei null. Das zeigen Zahlen der Stiftung Swisstransplant, die im Auftrag des Bunds die Warteliste der Organempfänger führt.
Warum diese Zunahme in den vergangenen zehn Jahren? Swisstransplant drängt seit Jahren auf Lockerungen. Mit Erfolg: Seit 2011 muss der Hirntod nur noch einmal festgestellt werden, bevor Ärzte Organe entnehmen können. Zuvor musste er zweimal mit mindestens sechs Stunden Abstand bestätigt werden. Und bei Herzstillstand verkürzte die Schweizerische Akademie der Medizinischen Wissenschaften 2017 die Wartefrist von zehn auf fünf Minuten.
Deutschland hat deutlich strengere Regeln
Die Organentnahme nach einem Herz- Kreislauf-Stillstand ist umstritten. Die Ärzte sind sich nicht einig, ob jemand nach einem Herzstillstand wirklich tot ist. Während in der Schweiz Organe schon nach fünf Minuten entnommen werden dürfen, gilt in Deutschland eine andere Regelung. Dort sind Organtransplantationen nach einem Herz-Kreislauf-Stillstand nicht möglich. Denn die deutsche Bundesärztekammer schreibt vor, dass Patienten noch mindestens drei Tage lang beobachtet werden müssen, um eindeutig feststellen zu können, dass jegliche Hirnfunktionen unwiderruflich ausgefallen sind. Das verunmöglicht Transplantationen nach einem Herzstillstand, denn Organe dürfen vor der Entnahme nur kurz ohne Durchblutung sein.
Bei normalen Organentnahmen wird viel länger gewartet
In Schweizer Spitälern lösen Ärzte bei Sterbenden, die potenzielle Organspender sind, einen Herzstillstand aus, indem sie lebenserhaltende Massnahmen stoppen. Dazu ist das Einverständnis des Sterbenden oder seiner Angehörigen nötig. Danach werden die Organe rasch entnommen.
Bei der klassischen Form der Organentnahme ist das anders: Erleiden Patienten etwa nach einem Schlaganfall den Hirntod, schlägt ihr Herz weiter. Die Organe sind weiterhin durchblutet und können ohne Zeitdruck entnommen werden.
Die Akademie der Medizinischen Wissenschaften schreibt auf Anfrage von saldo, Organspender seien nach dem Herzstillstand «sicher tot». Dann würden sie auch als hirntot erklärt. Das werde mit einer Reihe von Untersuchungen überprüft. Die Bundesärztekammer dagegen schreibt: «Bei einem Herz- und Kreislaufstillstand selbst von zehn Minuten kann nicht von einem Hirntod ausgegangen werden.»
Gemäss einem Swisstransplant-Dokument verschliessen die Ärzte des Universitätsspitals Genf bei Organspendern die Hauptschlagader mit einem Ballon. «So will man verhindern, dass das Hirn wieder zu funktionieren beginnt», kritisiert der Winterthurer Arzt Alex Frei. Swisstransplant-Chef Franz Immer ergänzt: Der Ballon bewirke, dass statt des Gehirns diejenigen Organe gut durchblutet würden, die man transplantieren wolle.