Lex USA: Wenig Fakten, klare Meinungen
Niemand ausser dem Bundesrat kennt die Details des Steuerabkommens mit den USA. Die Medien stochern
im Nebel. Trotzdem rieten die Journalisten den Parlamentariern, wie sie abzustimmen haben.
Inhalt
saldo 12/2013
22.06.2013
Rolf Hürzeler
Viele Pendler waren verwirrt. Sie vertieften sich nach getaner Arbeit zur Entspannung in den «Blick am Abend» und lasen die Kolumne «Bellevue-Bar». Thema: Das Steuerabkommen zwischen der Schweiz und den USA. Titel: «Ein guter Deal.» In der gleichen Ausgabe fragte in derselben Sache ein anderer Kolumnist die Leser: «Habt ihr alle einen an der Waffel?» Er empfiehlt bei einer allfälligen Zustimmung des Parlaments zum umstrittenen Steuerabkomme...
Viele Pendler waren verwirrt. Sie vertieften sich nach getaner Arbeit zur Entspannung in den «Blick am Abend» und lasen die Kolumne «Bellevue-Bar». Thema: Das Steuerabkommen zwischen der Schweiz und den USA. Titel: «Ein guter Deal.» In der gleichen Ausgabe fragte in derselben Sache ein anderer Kolumnist die Leser: «Habt ihr alle einen an der Waffel?» Er empfiehlt bei einer allfälligen Zustimmung des Parlaments zum umstrittenen Steuerabkommen, die Schweiz «als 51. teilsouveränen Staat» den USA anzugliedern. Das sind deutliche Worte. Nur – wem sollen die Leser nun glauben?
Wenigstens ist die Heimlichtuerei des Bundes ein Thema
Das ist ein Beispiel der allgemeinen Tendenz, über etwas zu schreiben, von dem man keine Ahnung hat. Denn die Journalisten schreiben über ein Abkommen, dessen Inhalt sie nicht kennen. Das führt zu einem Dilemma. Die klugen Kommentatoren machen immerhin genau diese Heimlichtuerei der Bundesrats gegenüber den Parlamentariern zum Thema.
Beispielsweise der «Tages-Anzeiger»: Er fragt sich, ob die Abstimmung über das unbekannte Steuerabkommen die rechtsstaatlichen Regeln der Schweiz noch respektiert oder nicht. Sein Verdikt: «Für eine Demokratie unannehmbar.» Denn wenn die Rechtsstaatlichkeit darin bestehe, dass das Parlament bestehende Gesetze ausser Kraft setzt, ohne zu wissen wofür, dann sei das eine Verhöhnung der parlamentarischen Demokratie. Das ist offenbar auch die Meinung der Pendlerzeitung «20 Minuten» aus dem gleichen Verlag. Die Redaktion schreibt: «Der US-Steuerdeal rüttelt an den Grundfesten der Demokratie.»
Die «NZZ am Sonntag» ist anderer Meinung, sie scheint mehr über den Staatsvertrag zu wissen: Er ermögliche nur «die Lieferung der Namen in einem rechtsstaatlich sauber geregelten Rahmen». Und weiter: «Notrecht kommt nicht zur Anwendung.» Das Blatt hat sogar Verständnis dafür, dass das Steuerabkommen nicht einmal in grossen Zügen bekannt ist: «Die USA haben sich mit guten Gründen geweigert, dieses Programm zur Diskussion der Schweizer Politik zu machen.» Die NZZ selbst kritisiert zwar: «Recht und Macht sind in diesem Konflikt längst austauschbar.» Doch kommen trotzdem beide Blätter zum Schluss, dass die Parlamentarier dem Steuerabkommen zustimmen sollten.
«Vernünftig Busse tun», lautete dazu beispielsweise ein Titel in der NZZ, und der Chefredaktor kommt in einem anderen Artikel zum Fazit: «Die Schweiz ist im Würgegriff – und Uncle Sam schlicht stärker.»
Unterschiedliche Prognosen im Fall eines Neins zum Steuerdeal
Für den Fall der Ablehnung des Staatsvertrags wird ein NZZ-Autor prophetisch: «Die USA können mit einer Anklage ein Finanzinstitut auch im Ausland praktisch sicher zu Fall bringen.» Denn eine US-Klage schliesse eine Schweizer Bank vom Dollar-Zahlungsverkehr aus.
Allerdings weiss auch hier niemand genau, ob dem tatsächlich so ist. So schreibt die «Berner Zeitung»: «Eine Strafklage der US-Justiz ist das Todesurteil für jede Bank, weil die Kunden sofort ihr Geld abziehen.» Gleiches erfahren die Leser der «Neuen Luzerner Zeitung»: «Wie der Fall Wegelin zeigt, kommt dieser Schritt einem Todesurteil gleich.» Der «Tages-Anzeiger» hingegen ist sich in dieser Frage nicht so sicher: «Kunden, die in Dollar abrechnen, würden zwar vermehrt Geschäfte mit anderen Banken tätigen. Das heisst aber nicht, dass sie gleich alle Mittel von der angeklagten Bank abzögen.» Entsprechend warnt die Zeitung vor einer Zustimmung zum Gesetz.
«Blick»: Seltsame Argumentation statt Fakten
Immerhin: Die Kommentatoren der meisten Blätter bemühen sich um eine Begründung ihrer Haltung, auch wenn sie über zu wenig Fakten verfügen, um eine stichfeste Argumentation zu liefern. Da macht es sich der «Blick» einfacher. Das Blatt kümmert sich um keine Begründung, sondern hackt auf den Parteien herum, die für Ablehnung votieren, und spricht etwa der FDP «staatspolitisches Format und Verantwortungsbewusstsein» ab. Die SP ist zwar auch gegen die Vorlage, aber aus Sicht des «Blicks» mit gutem Grund: «Ihr kann nicht verübelt werden, dass sie jetzt nicht für andere die Kohlen aus dem Feuer holen will.» Nicht jeder Leser wird dieser Logik folgen können.