Schikanen durch Vorgesetzte, Druckversuche seitens der Personalchefin und defekte Arbeitsschuhe: Der Einzelrichter erhält in der Verhandlung am Regionalgericht Bern-Mittelland ungeschminkten Einblick in den früheren Arbeitsalltag eines Gärtnerlehrlings.
Für «ausbildungsrelevante und interessante Arbeiten» sei der Lehrling nie eingesetzt worden, schildert dessen Anwalt. Er habe die ganze Zeit Verbundsteine legen und schwere Platten schleppen müssen. Regelmässig sei er vom Vorgesetzten geplagt worden. Einmal habe er bei Regenwetter seinen Rucksack im Lieferwagen deponieren wollen: «Sogar das wurde ihm verboten.»
«Man wollte ihn um jeden Preis in ein schiefes Licht rücken»
Die Situation spitzte sich zu, als der Lehrling im Depot neue Arbeitsschuhe abholen wollte. Dort stand ein Paar für ihn bereit, denn er hatte am Vortag den Defekt an seinen bisherigen Schuhen gemeldet. Der ungeduldige Vorgesetzte habe ihn aber angewiesen, seine privaten Schuhe anzuziehen und sofort auf die Baustelle mitzukommen, erzählt der Anwalt.
Dass die bereitgestellten Schuhe stehen blieben, hatte Folgen: Die Sicherheitsbeauftragte der Firma kreuzte auf der Baustelle auf und rügte den Lehrling, weil er nicht das richtige Schuhwerk trug. Folge war eine Verwarnung wegen Nichtbefolgens von Arbeitsanweisungen und Sicherheitsvorschriften.
«Man wollte den Lehrling um jeden Preis in ein schiefes Licht rücken, um ihn loszuwerden», sagt der Anwalt. «Ein solches Verhalten ist rechtsmissbräuchlich und verstösst gegen Treu und Glauben.» Später habe die Personalchefin Druck aufgesetzt, damit der Lehrling eine Verwarnung unterschreibt. Er weigerte sich. Daraufhin habe ihm die Personalchefin ohne klärendes Gespräch die fristlose Aufhebung des Lehrvertrags vorgelegt – zehn Monate nach Lehrbeginn. Ein Grund dafür liege nicht vor. Lehrverträge sind während der Lehre in der Regel nicht kündbar (siehe unten).
Der Lehrling fordert vor Gericht vom Betrieb 24 000 Franken Entschädigung. Diese Summe umfasst die entgangenen Löhne bis zum vorgesehenen Ende der Lehre und eine Strafzahlung von drei Monatslöhnen für die ungerechtfertigte fristlose Entlassung, begründet der Anwalt. Zum Glück habe sein Mandant eine Möglichkeit gefunden, die Lehre an einer Gartenbauschule zu beenden. Dort erhalte er aber keinen Lohn.
Von der Gartenbaufirma sind die Sicherheitsbeauftragte und der Prokurist vor Gericht erschienen. Ihre Anwältin bestreitet die Schikanen. Es stimme nicht, dass bewusst Druck aufgebaut worden sei. Es habe zwar mehrere Verwarnungen mit Kündigungsandrohung gegeben: «Doch so wird es vom Gesetz verlangt, wenn ein Betrieb das Lehrverhältnis als nicht fortsetzungsfähig betrachtet.» Es sei auch falsch, dass man den Kläger vor der Aufhebung des Lehrvertrags nicht angehört habe. Seinen Standpunkt habe er von sich aus schriftlich abgegeben. Darin sei klar geworden, dass es ihm an Einsicht fehle.
«Vorgesetzte änderten Bewertungen nachträglich»
Ein Disput entspannt sich auch um eine ungeklärte Absenz, eine Corona-Quarantänemassnahme und um den Arbeitsbericht des Betriebs. Die Vorgesetzten hätten darin nachträglich Bewertungen abgeändert, sagt der Anwalt des Lehrlings. Das sehe man an der Verwendung eines anderen Stifts. Zudem seien von vier Bewertungsfeldern teils zwei oder drei zugleich angekreuzt worden. Auch dafür liefert die Anwältin des Lehrbetriebs eine Erklärung: «Mehrere Kreuze bedeuten, dass die Note nicht eindeutig war.»
Beide Seiten beantragen die Einvernahme von Zeugen an einem weiteren Verhandlungstag, um ihren Standpunkt zu untermauern. Der Streit droht sich in die Länge zu ziehen. Der Einzelrichter versucht, eine gütliche Einigung zu erzielen, und bittet zu Vergleichsgesprächen. Die Verhandlungen sind zäh. Der Kläger gibt sich nur mit mindestens 14 000 Franken zufrieden, der Betrieb offeriert maximal 5000 Franken. Nach mehreren Verhandlungsrunden einigen sie sich auf 10 000 Franken.
Kündigung: Sonderregeln bei Lehrvertrag
Ein Lehrverhältnis ist ein befristeter Arbeitsvertrag. Ist die Probezeit bestanden, endet der Lehrvertrag erst mit Ablauf der Lehrzeit – unabhängig davon, ob der Lehrling die Abschlussprüfung besteht. «Aus wichtigen Gründen» kann der Lehrvertrag aber einseitig und fristlos aufgelöst werden – etwa wenn dem Lehrling die «körperlichen oder geistigen Anlagen» fehlen, die für die Lehre «unentbehrlich» sind. Das ist jedoch erst nach vorheriger Anhörung möglich. Umgekehrt kann auch der Lehrling den Vertrag auflösen, wenn dem Ausbilder «die erforderlichen beruflichen Fähigkeiten oder persönlichen Eigenschaften» fehlen.