«Kernkraftwerke sind nicht unzerstörbar»
Die Atomaufsichtsbehörde äussert erstmals Zweifel, ob die AKWs einem geplanten Flugzeugabsturz standhalten.
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saldo 15/2021
28.09.2021
Gery Schwager
Die Anschläge auf das World Trade Center in New York vor 20 Jahren zeigten: Ein Flugzeug in der Hand von Terroristen kann riesige Zerstörung anrichten. Die Betreiber der Schweizer Atomkraftwerke mussten deshalb im Auftrag des Eidgenössischen Nuklearsicherheitsinspektorats Ensi untersuchen, ob ihre Anlagen einen vorsätzlich herbeigeführten Flugzeugabsturz verkraften würden. 2003 orientierte die Behörde über das Resultat: Die...
Die Anschläge auf das World Trade Center in New York vor 20 Jahren zeigten: Ein Flugzeug in der Hand von Terroristen kann riesige Zerstörung anrichten. Die Betreiber der Schweizer Atomkraftwerke mussten deshalb im Auftrag des Eidgenössischen Nuklearsicherheitsinspektorats Ensi untersuchen, ob ihre Anlagen einen vorsätzlich herbeigeführten Flugzeugabsturz verkraften würden. 2003 orientierte die Behörde über das Resultat: Die AKW hätten einen «hohen Schutzgrad». Bei Gösgen und Leibstadt bestehe gar «Vollschutz».
Zehn Jahre später schickte das Ensi die AKW-Betreiber wieder über die Bücher. Die Behörde hatte gemerkt, dass sich Flugzeuge und Navigationstechnik markant weiterentwickelt hatten. Erneut gab das Ensi Entwarnung: «Die Kernkraftwerke in der Schweiz verfügen über einen ausreichenden Schutzgrad gegen einen vorsätzlichen Flugzeugabsturz», teilte es vor drei Jahren mit.
Doch stimmt das? saldo verlangte unter Berufung auf das Öffentlichkeitsgesetz Einblick in die Berichte. Das Ensi lehnte ab. Deshalb gelangte saldo an den Öffentlichkeitsbeauftragten Adrian Lobsiger. Daraufhin willigte das Ensi immerhin ein, ein paar Informationen zu publizieren, die über bereits Bekanntes hinausgehen: Auf der Ensi-Website ist nun ein von der Behörde verfasstes Interview mit dem stellvertretenden Direktor Georg Schwarz aufgeschaltet. Darin erfahren die Leser, dass der Schutzgrad der AKWs Gösgen und Leibstadt «nicht dem Standard der neuesten Kernkraftwerke» entspreche. Die Schweizer AKWs gehörten zwar zu den robustesten Gebäuden des Landes. Ihr Schutzgrad habe sich dank Nachrüstungen weiter erhöht. «Trotzdem sind die Kernkraftwerke nicht unzerstörbar», hält das Ensi erstmals fest.
Die Behörde gibt auch erstmals preis, dass sie die Analysen am Flugsimulator mit Flugzeugtypen aus acht Grössenklassen durchführen liess – von Turboprop-Maschinen wie dem Saab 2000 bis zu Supergrossraumflugzeugen wie dem Airbus A380. Zu den simulierten Tankfüllständen, Fluggeschwindigkeiten und Anflugwinkeln dagegen gibt es keine Details. Sie wären laut Schwarz «für die ‹Optimierung› eines Angriffs relevant».