Gesponserte Wissenschaftsjournalisten
Universitäten und Stiftungen finanzieren die Wissenschaftsredaktionen von drei grossen Medienunternehmen. Formell bleibt die Unabhängigkeit gewahrt. Doch <br />
Kritiker bezweifeln, dass die Geldgeber keinen Einfluss <br />
nehmen.
Inhalt
saldo 09/2013
15.05.2013
Yves Demuth
Die Lage der Wissenschaftsjournalisten ist ungemütlich. Die «Basler Zeitung» hat kürzlich ihren letzten Wissenschaftsredaktor entlassen. «Es scheint für manche Verleger eine Disziplin zu sein, die man leicht wegsparen kann», sagt Beate Kittl, Wissenschaftsjournalistin bei der Schweizerischen Depeschenagentur SDA und Vorstandsmitglied des Schweizer Klubs für Wissenschaftsjournalismus.
Wissensschaftsredaktoren ordnen akt...
Die Lage der Wissenschaftsjournalisten ist ungemütlich. Die «Basler Zeitung» hat kürzlich ihren letzten Wissenschaftsredaktor entlassen. «Es scheint für manche Verleger eine Disziplin zu sein, die man leicht wegsparen kann», sagt Beate Kittl, Wissenschaftsjournalistin bei der Schweizerischen Depeschenagentur SDA und Vorstandsmitglied des Schweizer Klubs für Wissenschaftsjournalismus.
Wissensschaftsredaktoren ordnen aktuelle Naturereignisse ein, wie etwa die Hangrutsche in der Innerschweiz. Sie erklären, wie ein Tsunami funktioniert, machen komplexe wissenschaftliche Forschungen für ein grösseres Publikum verständlich oder sie recherchieren im Umfeld von Universitäten. Die «Neue Zürcher Zeitung» und der «Tages-Anzeiger» beschäftigen je fünf Redaktoren, bei der «Nordwestschweiz/Aargauer Zeitung» ist es eine Person und beim Schweizer Radio und Fernsehen SRF sind es insgesamt 23 Redaktoren, die im Ressort Wissen/Wissenschaft tätig sind.
Rektorenkonferenz bezahlt Redaktoren der Depeschenagentur
Zurzeit lassen sich drei Medienhäuser ihre Wissenschaftsjournalisten von externen Geldgebern finanzieren: die Schweizerische Depeschenagentur SDA, das Westschweizer Radio und Fernsehen RTS und die grösste Schweizer Zeitung «20 Minuten». An Geldmangel kann es nicht liegen: Die SDA schrieb 2011 einen Nettogewinn von 1,04 Millionen Franken. Das RTS finanziert sich unter anderem aus den Gebühren der Radio- und Fernsehkonsumenten, die im letzten Jahr insgesamt 1,2 Milliarden Franken betrugen. Und «20 Minuten» ist für den Zürcher Tamedia-Konzern ein Goldesel. Der Gewinn liegt laut Schätzungen bei rund 30 Millionen Franken pro Jahr.
Gesponsert werden die drei Redaktionen durch Universitäten und Stiftungen. Konkret:
- Die Löhne der beiden Wissenschaftsredaktoren der Schweizerischen Depeschenagentur zahlt zu zwei Dritteln die Rektorenkonferenz der Schweizer Universitäten. Mitglieder sind die Rektoren der zehn kantonalen Universitäten und der beiden ETH. Ihre Aufgabe: die Interessen der Hochschulen gegenüber Bund, Kantonen und Wirtschaft zu vertreten.
- Das Westschweizer Radio und Fernsehen bietet im Internet zwei Wissenschaftsplattformen an: das selbstfinanzierte und von eigenen Journalisten betriebene «RTSdécouverte» sowie «Avis d’experts», bezahlt und betreut von den Universitäten Genf, Lausanne und Neuenburg. Zuständig für «Avis d’experts» ist eine von den Universitäten bezahlte wissenschaftliche Mitarbeiterin. Dank einer RTS-Mailadresse ist sie zudem auch eine eingebettete Journalistin. So wirkt sie auch an «RTSdécouverte» mit, indem sie den Journalisten der öffentlich-rechtlichen Medienanstalt mögliche Themen, Forscher oder Experten vorschlägt, wie RTS bestätigt.
- «20 Minuten» wiederum lässt sich die wöchentliche Wissens-Doppelseite von den Stiftungen Gebert Rüf und Mercator finanzieren. Textlieferant ist Scitec-media, eine Agentur für Wissenschaftskommunikation. Hinter der Agentur steht der bekannte Wissenschaftsjournalist Beat Glogger. Glogger nimmt gleichzeitig auch Mandate von Bildungsorganisationen an. Das führte zum Beispiel dazu, dass seine Mitarbeiter über ein nationales Forschungsprojekt schrieben, für dessen Umsetzung der Agentur-Chef zuständig war.
Können gesponserte Wissenschaftsjournalisten wirklich unabhängig und frei berichten und allein nach journalistischen Kriterien ihre Themen auswählen? Die Unternehmen betonen, die journalistische Unabhängigkeit sei garantiert. Die Schweizerische Depeschenagentur hat im Vertrag mit der Rektorenkonferenz festgehalten, dass die Wissenschafts-Nachrichtenproduktion allein nach journalistischen Kriterien und auf Basis der redaktionellen Richtlinien erfolgt. «Meine journalistische Unabhängigkeit ist garantiert», sagt Redaktorin Kittl. Es habe nie einen Beeinflussungsversuch seitens der Universitäten oder Forscher gegeben.
Laut der zuständigen Redaktorin Tania Chytil vom Westschweizer Radio und Fernsehen ist auch «RTSdécouverte» trotz der eingebetteten Universitätsmitarbeiterin vollständig unabhängig.
«Die Beisshemmung gegenüber Geldgebern nimmt tendenziell zu»
Der freie Wissenschaftsjournalist Marcel Hänggi sieht das kritischer: «Arbeitet das Westschweizer Radio und Fernsehen mit der RTS-Beauftragten der Universitäten enger zusammen, nimmt die Beisshemmung gegenüber den Westschweizer Universitäten tendenziell zu.» Ausserdem liessen sich die Journalisten die Themen stärker von den Universitäten diktieren.
Markus Lehmkuhl, Medienforscher an der Freien Universität Berlin und Herausgeber eines Fachmagazins zu Wissenschaftsjournalismus, bezeichnet die Zusammenarbeit als nicht nachvollziehbar. Es sei ein Fehler zu glauben, die Wissenschaft sei neutral und vertrete nur die Interessen der Allgemeinheit.
Beat Glogger sagt, man sei sich der Gefahren beim «20 Minuten»-Projekt bewusst, berichte aber stets neutral und habe noch nie Interessen vermischt. Ein Redaktionsstatut verspreche Scitec-media zudem Unabhängigkeit gegenüber den Stiftungen. Alle vorgeschlagenen Themen werden laut Glogger von der Chefredaktion von «20 Minuten» abgesegnet.
Popularisierung von Medienmitteilungen statt Journalismus
Ob Interessenbindungen die Wissenschaftsberichterstattung von «20 Minuten» tatsächlich beeinflussten, will auch Kritiker Marcel Hänggi nicht beurteilen. Trotzdem betont er: «Selbst wenn vertraglich festgehalten ist, dass die Redaktionen unabhängig vom Geldgeber sind, besteht ein Dankbarkeitsverhältnis, das die journalistische Arbeit negativ beeinflussen kann.»
Auch Medienforscher Markus Lehmkuhl zeigt sich gegenüber dem «20 Minuten»-Modell sehr skeptisch. Er sehe das nicht als Journalismus, sondern als eine «unreflektierte Popularisierung von Medienmitteilungen», sagt Lehmkuhl.
Etwas daran ändern können nur die Medienhäuser selbst. Eine unabhängige Berichterstattung über Universitäten und Forschung in der Schweiz ist nicht gratis zu haben.