Fragwürdiges Medizin-TV auf Privatsendern
Die Werbeagentur Santemedia.ch produziert Gesund-heitssendungen für private TV-Stationen wie Tele M1 oder Tele Bärn. Firmen und Kliniken finanzieren sie – und bekommen dafür in den Sendungen eine Werbe-Plattform.
Inhalt
Gesundheitstipp 05/2011
08.05.2011
Letzte Aktualisierung:
09.05.2011
Isabelle Meier
Es ist der 18. April, 15.45 Uhr. Auf dem Aargauer Privatsender Tele M1 beginnt «Medizin-TV». Thema: Operationen am vorderen Kreuzband.
Im Studio begrüsst Moderatorin Michèle Burri die Handballerin Stefanie Rosen, die einen Kreuzbandriss hatte. Ein weiterer Gast ist der Arzt Eric Reiss von der Ortho-Praxis in Oftringen AG.
Reiss erklärt detailliert, wie eine Kreuzbandriss-Operation abläuft. Und: «Der Schmerz ist wes...
Es ist der 18. April, 15.45 Uhr. Auf dem Aargauer Privatsender Tele M1 beginnt «Medizin-TV». Thema: Operationen am vorderen Kreuzband.
Im Studio begrüsst Moderatorin Michèle Burri die Handballerin Stefanie Rosen, die einen Kreuzbandriss hatte. Ein weiterer Gast ist der Arzt Eric Reiss von der Ortho-Praxis in Oftringen AG.
Reiss erklärt detailliert, wie eine Kreuzbandriss-Operation abläuft. Und: «Der Schmerz ist wesentlich kleiner dank der heutigen Operationstechniken.»
Auch die Heilungszeit sei kürzer. Die Technik spielt die Computer-Animation einer Operation ein. Patientin Rosen berichtet: «Es geht mir heute sehr gut, ich bin schmerzfrei im Alltag wie auch im Sport.»
Die Sportlerin sagt, ihr sei sofort klar gewesen, dass sie sich operieren lassen wolle, denn: «Ich wollte schnell wieder in den Leistungssport einsteigen.»
Der Gesundheitstipp hat die Sendung dem Orthopäden Luzi Dubs aus Winterthur gezeigt. Er ist Spezialist für Kreuzbandoperationen. Sein Urteil: «Die Sendung ist einseitig.» So würde nicht besprochen, wer für eine Operation in Frage käme.
«Auch die Langzeitrisiken, wie etwa Arthrose, werden nicht erwähnt.» Der Grund für die fehlenden Informationen: Die Sendung machen nicht Journalisten, sondern Leute von der Santemedia.ch. Die Werbeagentur gehört Kommunikationsberater Geri Staudenmann, der in einigen Sendungen auch als Moderator auftritt.
Das Unternehmen produziert nach eigenen Angaben jährlich 140 Gesundheitssendungen für Lokalsender wie Tele M1, Tele 1, Tele Top, Tele Ostschweiz, Tele Bärn und Tele Bilingue.
Bayer Schering und Hirslanden zahlen mit
Die Fernsehstationen stellen der PR-Agentur Aufnahmestudio und Technik gegen ein Entgelt zur Verfügung. Santemedia.ch sucht Sponsoren, die die Sendungen finanzieren. Die Liste der Geldgeber ist illuster:
Die Pharmafirmen Astra Zeneca, Bayer Schering und Johnson & Johnson gehören dazu – aber auch Privatkliniken wie Hirslanden oder die Berner Klinik Sonnenhof.
Beispiel Kreuzbandoperation: Die Sendung, so wird angekündigt, «ist unterstützt von Arthrex Swiss AG». Die Firma entwickelt nach eigenen Angaben «arthroskopische Wiederherstellungstechniken in der Kreuzband-, Knorpel- und Meniskus-Chirurgie».
Im Beitrag werden Geräte gezeigt, auf denen der Name Arthrex prangt. Medienexperten äussern sich kritisch zu dieser Vermischung von Werbung und Journalismus:
Peter Studer, ehemaliger Präsident des Presserats, hat die Sendung über die Kreuzbandoperationen für den Gesundheitstipp angeschaut.
Sein Fazit: Sie sei zwar gut gemacht und informativ. Doch die Inhalte seien «interessengebunden», die Trennung zwischen redaktionellem Inhalt und Werbung «unscharf».
Peter Studer: «Ich weiss nach der Sendung kaum, dass es sich um eine bezahlte Information gehandelt hat, die im Stil einer normalen Programmsendung daherkommt.» Bereits vor vier Jahren hat deswegen das Bundesamt für Kommunikation bei Tele Bärn interveniert.
«Sponsoren schlagen Themen vor»
Geri Staudenmann von Santemedia.ch schreibt dem Gesundheitstipp: «Die Sponsoren können Themen und Fachpersonen vorschlagen, haben jedoch kein Recht auf redaktionelle Einflussnahme.»
Und: «Für Inhalt, Redaktion und Moderation der Sendung sind die Moderatoren alleine zuständig.» Ausserdem würden Fragen nach Risiken, Alternativen und Prävention «praktisch in jeder Sendung mit der nötigen thematischen Distanz gestellt».
Allenfalls werde auch kritisch nachgefragt. Die TV-Redaktionen würden sich zudem vorbehalten, vorgeschlagene Themen und Fachleute abzulehnen.
Das verlangt im Übrigen auch der Journalistenkodex. Er sagt, die Themenauswahl sei «durch die Redaktion zu gewährleisten». Eine Nachfrage bei Privatsendern zeigt allerdings: Das ist nicht immer der Fall.
Tele M1 gibt unumwunden zu: «Wir haben mit dem Inhalt nichts zu tun.» Auch beim Winterthurer Lokalsender Tele Top heisst es, für den Inhalt der Gesundheitssendung sei Santemedia.ch verantwortlich.
Patrick Teuscher, Programmleiter von Tele Bärn, bestätigt ebenfalls, dass bei der Sendung «Medical Talk» die Themenhoheit bei Santemedia.ch liege. Er sei aber im Austausch mit dem Unternehmen und bestimme mit.