Finanzberater - "Was ist Ihr Ziel? Ein Haus, ein Ferrari?"
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saldo 8/2002
24.04.2002
Der Allgemeine Wirtschaftsdienst AWD sucht laufend neue Finanzberater. Dabei geht der Konzern nicht sehr wählerisch vor. Das zeigen die Vorstellungsgespräche eines saldo-Journalisten.
Sind Sie offen für eine berufliche Veränderung? Wollen Sie Spass haben und viel verdienen?» Bruno Comisetti (Name geändert), Team-Manager des Allgemeinen Wirtschaftsdienstes (AWD), lädt zum Vorstellungsgespräch in die Filiale Zürich-Schwamendingen.
AWD: Kein Interesse ...
Der Allgemeine Wirtschaftsdienst AWD sucht laufend neue Finanzberater. Dabei geht der Konzern nicht sehr wählerisch vor. Das zeigen die Vorstellungsgespräche eines saldo-Journalisten.
Sind Sie offen für eine berufliche Veränderung? Wollen Sie Spass haben und viel verdienen?» Bruno Comisetti (Name geändert), Team-Manager des Allgemeinen Wirtschaftsdienstes (AWD), lädt zum Vorstellungsgespräch in die Filiale Zürich-Schwamendingen.
AWD: Kein Interesse an der Vorbildung des Bewerbers
28. März, 12 Uhr: Dass sein Gegenüber ein Journalist ist, scheint Comisetti nicht zu interessieren. Umständlich erklärt er, worum es geht. So viel verstehe ich: Für AWD soll ich Versicherungs-, Krankenkassen- und Bankprodukte verkaufen, von Haustür zu Haustür. «Doch erzählen Sie mir aus Ihrem Leben.»
Ich beschränke mich auf fünf Sätze: Herkunft, Schule, Banklehre, Arbeit in Verlagshäusern, seit drei Jahren in Zürich. Das reicht dem laut Eigenwerbung «unabhängigen Finanzoptimierer». Keine Nachfrage über den Namen der Bank, den heutigen Arbeitgeber oder die genauere Tätigkeit. Einzig den aktuellen Lohn will er wissen und ob ich gerne mit Menschen arbeiten würde. Ich bejahe.
Der knapp 30-Jährige startet den Videofilm «Traumberuf: AWD-Wirtschaftsberater». Darin treten lächelnde Finanzberater auf, «Siegertypen, die ein Spitzeneinkommen beziehen». Neue Mitarbeiter werden zu «wissensstarken Finanzdienstleistern». Die Botschaft: Nur die Besten bringen es zu Geld und Erfolg. AWD-Gründer Carsten Maschmeyer sagt zum Schluss des Videos: «Wir bieten hervorragende Arbeitsbedingungen. Alle Einkommenskategorien stehen Ihnen offen.»
Comisetti greift zu Papier, skizziert die Grundausbildung zum Wirtschaftsberater. Im AWD-Center in Baar ZG werden acht Unterrichtsfächer während neun Monaten tagsüber gelehrt - abends gilt es bereits, möglichst viele Finanzprodukte zu verkaufen. «Unser Lohn ist die Verkaufsprovision», hält der Team-Manager fest. Zudem gibt uns jeder Kunde durchschnittlich 17 Adressen potenzieller Interessenten.» saldo weiss: Die Berater fragen dabei gleich noch nach Telefonnummern von möglichen künftigen Mitarbeitern. Denn je mehr Leute ein AWD-Manager rekrutiert, umso höher ist sein Lohn in Form von Aktienoptionen.
Einen festen Lohn gibt es nur während vier Monaten
«Und wie steht es mit meinem Lohn?» Bei 20 Stunden Kundengesprächen wöchentlich würden in einem guten Monat schon 9600 Franken drinliegen, meint der Verkäufer. «Zudem steigt mit grösserem Umsatz nach zwei Jahren Ihr Bonus mit Aktienoptionen», schwärmt er. Allerdings: Einen festen Lohn (bei mir 2000 Franken) zahlt AWD nur während vier Monaten. Nachher gilt: keine Verkäufe, kein Gehalt.
Meine Zweifel bleiben dem Gegenüber nicht verborgen. Comisetti versucht, die Bedenken zu zerstreuen: «Alles, was mir versprochen wurde, hat AWD gehalten.» Er zeigt auf seinen Schreibtisch. «Sehen Sie das Modellauto? Ende April bestelle ich wohl meinen ersten echten Ferrari. Was ist Ihr Ziel? Ein Haus, ein tolles Auto?»
Eine Stunde ist vergangen. Wir vereinbaren den nächsten Termin, einen Eignungstest. «Der kostet uns 400 Franken, den machen wir nur, wenn das Interesse da ist. Bei Personalentscheiden überlege ich immer: Würde ich mich von Ihnen beraten lassen? Bei Ihnen, Herr Meschenmoser, kann ich mit Ja antworten.»
10. April, 12 Uhr: Zwei Formulare, 36 Fragen zu persönlichen Interessen, Einstellung, Werten und eine «Potenzial-Analyse». Stets votiere ich für Geld und Karriere, gegen Soziales oder Kunst. Das kommt gut an - wie die Auswertung zeigen wird.
15. April, 10 Uhr: «Sie werden verblüfft sein, wie genau die Bewertung auf Sie zutrifft», meint Comisetti zur Begrüssung. «Es stellt für Marc Meschenmoser ein starkes Bedürfnis dar, reicher zu sein als andere», heisst es unter anderem. Das ist als Kompliment gemeint. «Sie werden bei uns reüssieren», jubelt Comisetti.
Ich verabschiede mich, unter dem Arm den Vertrag. Beim Hinausgehen komme ich an einem AWD-Plakat vorbei. Darauf steht: «Geld regiert die Welt. Regieren Sie mit.»
Marc Meschenmoser
AWD-Ausbildung - Verkäufe schon vor der Anstellung
Rund 320 Finanzberater ziehen in der Schweiz für AWD von Tür zu Tür. Ihr Einkommen ist primär die Verkaufsprovision. Auf Kritik an schlecht ausgebildeten Mitarbeitern reagierte AWD-Schweiz-Chef Christian Perschak letzten August im «Tages-Anzeiger»: «Wir stellen nur noch hauptberufliche Berater an.» Schöne Worte. Aktuelle AWD-Verträge zeigen das Gegenteil. Darin steht: «Der Agent ist haupt- oder zweitberuflich für AWD tätig.» Dazu AWD-Pressesprecher Andreas Bonifazi: «Wir arbeiten mit Hochdruck am neuen Vertrag. Das Hauptberufskonzept sieht eine Übergangszeit bis Ende 2002 vor.»
Allerdings: Werdende Berater müssen bereits während der letzten zwei Monate beim alten Arbeitgeber am Abend für AWD Kundengespräche führen - ohne Fachwissen. Solche Verkaufsgespräche würden «von einem erfahrenen Berater begleitet», sagt Firmensprecher Bonifazi.