Es herrschen Minusgrade in Lausanne. Min­des­tens 70 Randständige war­ten vor dem Zivil­schutz­­bunker, um ein Bett für die Nacht zu bekommen. Doch in der Notschlafstelle finden lediglich 50 Per­so­nen Platz. Der Schweizer Regisseur Fer­nand Melgar zeigt mit sei­nem neuen Doku­men­tar­film «L’Abri» die prekäre Lage der Obdachlosen. Der Grossteil davon sind Ausländer. 

Vor der Tür des Bunkers kommt es regelmässig zu emo­tionalen Szenen. Man­che versuchen es jede Nacht umsonst. Die Erfahrenen sind früh da, um ganz vorne an der Tür zu stehen. Wer randaliert, hat die Chancen auf einen Platz für die kommenden Nächte ver­spielt. 

Auch für die Arbeiter in der Notschlafstelle ist die Situation schwierig. Wen wäh­len sie aus? Es kommt zu Strei­tereien im Team, ob man wegen der grossen Käl­te nicht den einen oder an­de­ren Obdachlosen mehr her­einnehmen soll. Wer draus­sen bleibt, muss im Freien übernachten. 

Neben diesen Szenen richtet Melgar die Kamera im­mer wieder auf einzelne Per­sonen und deren Schick­sal. Wie der Afrikaner, der im Schlafsack in der Kälte liegt und mit seiner Mut­ter daheim telefoniert. Er sagt ihr, er arbeite in der Schweiz als Sicher­heits­wärter. Er schämt sich, die Wahr­heit zu sagen. Oder das Paar aus Spanien. Da­heim haben sie ein Haus, das sie nicht mehr bezahlen können. Hier kämpfen sie täglich um ­einen Platz in der Zivil­schutz­anlage. Tags­über ler­nen sie in der Bibliothek Französisch, um eine Arbeit zu finden. Doch die Situation be­lastet die Beziehung stark. 

«L’Abri» ist ein aufwüh­len­­der Film. Fernand Mel­gar sucht keine Effekte, son­dern richtet die Kamera un­auf­fällig auf die Be­trof­fe­nen. Nach «La Forteresse» und «Vol Spécial» gelingt ihm wiederum ein ein­drück­liches Porträt über Menschen, die vergeblich in der Schweiz Hilfe suchen.

Der Film läuft ab 9. Ok­to­ber in Deutsch­schwei­zer Kinos.

«L’Abri. Das Obdach.» Ein Film von Fernand Melgar. Schweiz 2014, 101 min. Agora.