Etikettenschwindel beim Ökostrom
Umweltbewusste Kunden zahlen bis zu 100 Franken mehr pro Jahr, um Strom aus erneuerbaren Quellen zu erhalten. Doch trotz eines Labels von WWF und Pro Natura kommt dieser Strom zum Teil aus Kraftwerken, die Umweltschutzgesetze missachten.
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saldo 01/2013
23.01.2013
Yves Demuth
Naturstrom muss nicht teuer sein.» So werben die Bernischen Kraftwerke (BKW) für ihren Ökostrom. Für 1,08 Rappen mehr pro Kilowattstunde (kWh) können die über 300 000 BKW-Privatkunden 100 Prozent erneuerbare Energie bestellen. Energy nature basic heisst das bei den BKW. Der Kunde unterstütze damit «ökologische Wasserkraft».
Aus der Steckdose fliesst dann zwar derselbe Strom wie bei allen anderen Kunden. Doch die BKW mü...
Naturstrom muss nicht teuer sein.» So werben die Bernischen Kraftwerke (BKW) für ihren Ökostrom. Für 1,08 Rappen mehr pro Kilowattstunde (kWh) können die über 300 000 BKW-Privatkunden 100 Prozent erneuerbare Energie bestellen. Energy nature basic heisst das bei den BKW. Der Kunde unterstütze damit «ökologische Wasserkraft».
Aus der Steckdose fliesst dann zwar derselbe Strom wie bei allen anderen Kunden. Doch die BKW müssen mit Herkunftsnachweisen belegen, dass sie so viel Strom aus zertifizierten Wasserkraftwerken produzieren oder kaufen, wie sie Abnehmer haben, die den Zuschlag für Energy nature basic zahlen.
Die Zertifizierten zertifizieren sich selber
Die Nachweise dafür stellt die nationale Netzgesellschaft Swissgrid aus. Sie ist im Besitz von 17 Elektritätsunternehmen. Der Verein für umweltgerechte Energie überprüft die Nachweise und genehmigt den Gebrauch des Labels Naturemade. Für dessen Glaubwürdigkeit bürgen die Umweltschutzorganisationen WWF und Pro Natura. Sie sind im Vorstand des Vereins. Aber nicht allein. Am gleichen Tisch sitzen Vertreter der Energiewirtschaft – unter anderem der BKW. Laut Ursula Stocker, Geschäftsleitungsmitglied von Naturemade, haben Umweltorganisationen und Energiewirtschaft im Vorstand gleich viel Stimmen.
Gemeinsam zertifizieren sie jene Kraftwerke, deren Strom als Ökostrom verkauft werden darf. Sprich: Die Zertifizierten zertifizieren sich teilweise selbst.
Das Label Naturemade basic verpflichtet zur Produktion von 95 Prozent Strom aus Wasserkraft und 5 Prozent aus anderen erneuerbaren Quellen. Basic-Strom kostet je nach Elektrizitätswerk zwischen 0,3 und 2,2 Rappen extra pro kWh (siehe Tabelle).
Die BKW produzieren solchen Strom unter anderem in den Kraftwerken Hinterrhein und den Engadiner Kraftwerken. Sie zählen zu den grössten Wasserkraftanlagen der Schweiz und produzieren zusammen fast gleich viel Strom wie das Atomkraftwerk Mühleberg. An beiden Bündner Werken sind die BKW beteiligt.
Zu wenig Restwasser nach zwanzig Jahren Anpassungsfrist
Was die umweltbewussten Stromkunden nicht wissen: Die beiden Kraftwerke halten die gesetzlich vorgeschriebenen minimalen Restwassermengen nicht ein. Das schreibt das Bündner Amt für Umwelt. Die Flussbette bleiben teilweise trocken, obwohl die Betreiber zwanzig Jahre Zeit hatten, die Anlagen anzupassen. Diese Frist zur Erhöhung der Restwassermengen lief Ende 2012 ab.
Selbst bei den als «ökologisch» beworbenen Wasserkraftwerken verbleiben keine angemessenen Mengen Restwasser im Bachbett. Das schadet Fischen und Vegetation. Und es füllt die Kassen der Betreiber. Denn würden die minimalen Restwassermengen beachtet, könnten die Kraftwerke laut den Bündner Behörden zwischen 220 und 290 Millionen Kilowattstunden Strom weniger produzieren.
Immerhin: Bei den Kraftwerken Hinterrhein soll die Anpassung gemäss dem Amt für Energie und Verkehr Graubünden «rasch» erfolgen. Die Engadiner Kraftwerke hingegen sind von einer vollständigen Sanierung weit entfernt.
Das gilt auch für die Grande-Dixence-Kraftwerke im Wallis, wie das zuständige Kantonale Departement bestätigt. Grande-Dixence liefert als Naturemade basic zertifizierten Strom unter anderem an Kunden der Aargauischen Elektrizitätswerke.
Dass umweltbewusste Kunden einen Aufpreis für Strom zahlen, bei dessen Produktion Umweltschutzgesetze verletzt werden, stört die Zertifizierer nicht. Das sei kein Etikettenschwindel, sagen BKW, WWF, Pro Natura und der Verein für umweltgerechte Energie unisono. Ihre Argumentation: Nur wer den teureren Strom mit dem Star-Zertifikat kaufe, erhalte reinen Ökostrom, der auch die Restwasservorschriften einhalte. Bei Basic-zertifiziertem Strom sei bloss garantiert, dass er aus erneuerbaren Quellen komme.
Ganz wohl scheint es den Umweltverbänden dabei aber nicht zu sein. Der WWF bezeichnet es als «inakzeptabel, dass nach 20-jähriger Übergangsfrist das Gewässerschutzgesetz nicht eingehalten wird». Darum befrage der Verein Naturemade nun alle basic-zertifizierten Kraftwerke nach den Gründen für die Verzögerungen. Anschliessend werde der Vorstand über Massnahmen entscheiden. Den Kraftwerken, bei denen keine Sanierung absehbar ist, möchte der WWF das Label rasch aberkennen.
Ob der Wasserwirtschaftsverband sowie die Bernischen Kraftwerke, die ebenfalls im Naturemade-Vorstand sitzen, eine solche Lösung begrüssen, ist offen. Ohne ihre Zustimmung geht gar nichts.
Die Ökostrom-Labels: Darauf müssen Sie achten
700 Unternehmen liefern in der Schweiz Elektrizität. 500 davon bieten Ökostrom an. Die Haushalte können dabei zwischen verschiedenen Zuschlägen wählen.
Die Stromtarife lauten auf Namen wie Water Star, Graustrom, Naturstrom, Naturstrom-Plus, Atommixpower, Strom, Easy Light und viele mehr.
Das am häufigsten verwendete Ökostrom-Gütesiegel heisst Naturemade. Das Naturemade-Label gibt es in den zwei Kategorien Basic und Star:
- Der teure Star-Strom soll besonders ökologischen Strom aus erneuerbaren Quellen wie Wind, Biomasse, Kleinwasserkraft oder Solar unterstützen. Bei Star-Wasserstrom verpflichtet sich der Produzent, 1 Rappen pro Kilowattstunde (kWh) in einen Fonds zur ökologischen Aufwertung der Fliessgewässer einzuzahlen. Die Kunden zahlen mehr: 2 bis 19 Rappen pro kWh für Windstrom oder Kleinwasserkraft und 42 bis 61 Rappen für Solarstrom.
- Die Variante Basic kostet 0,3 bis 2,2 Rappen extra pro kWh. Basic-Strom setzt sich zu 95 Prozent aus Wasserstrom aus zum Teil alten Grosskraftwerken und zu 5 Prozent aus neuen erneuerbaren Quellen mit Star-Qualität zusammen. Das Elektrizitätswerk Bern verzichtet bewusst auf dieses Label: «Damit entsteht den Kunden kein Mehrwert», sagt ein Sprecher.
- Daneben gibt es Elektrizitätswerke, die auf Labels verzichten oder auf andere Gütesiegel wie TÜV Süd aus Deutschland setzen. TÜV Süd beachtet so gut wie keine ökologischen Kriterien.