Die Diätpille Mediator war 33 Jahre lang auf dem europäischen Markt. Die Bilanz: mindestens 500 Tote und 2000 weitere Verdachtsfälle. 2010 kam für das Medikament das Aus. In der Schweiz war das Präparat bis 1998 zugelassen. Der französische Hersteller Servier, ein kräftiger Steuerzahler mit einflussreicher Lobby, soll bereits vor der Marktzulassung von den Risiken gewusst und gezielt Studien gefälscht haben. Die zuständige Sicherheitsagentur sah weg – sie war von der Pharmaindustrie finanziert.
Auch andere Arzneimittelskandale forderten Tausende Tote. Der deutsche Arzt und Risikoforscher Klaus Heilmann arbeitet die Geschehnisse auf. Er kritisiert die Pharmaindustrie, die Nebenwirkungen in der Packungsbeilage oft unpräzise und verharmlosend darstellt. Und er tadelt Ärzte dafür, dass sie oft zu wenig über Arzneimittel wissen und sie trotzdem abgeben. Er betont jedoch auch, dass die meisten unerwünschten Wirkungen durch falsche Anwendung entstehen.
Heilmann rät nicht, auf Medikamente zu verzichten. Statistisch betrachtet würde die Lebenserwartung im Durchschnitt um 37 Minuten zunehmen, wenn kein Mensch mehr an den Nebenwirkungen von Medikamenten sterben würde. Allerdings würden viele Patienten dann früher ihren Krankheiten erliegen. Lebenszeitverlust: etwa 15 Jahre.
Heilmanns Buch ist spannend, weil er die dunklen Seiten der Pharmaindustrie beleuchtet. Er nimmt auch die Patienten in die Pflicht. Viele schlucken unbedarft Medikamente. Dabei ist zum Beispiel die Verhütungspille bei falscher Anwendung wirkungslos. Dieses Buch animiert zu mehr Vorsicht.
Klaus Heilmann, «Zeitbombe Medikament», Heyne, ca. Fr. 13.50
BuchTipps
Keine Lust auf Kinder
Das Buch enthält Erkenntnisse der Forschung zur Frage, weshalb Paare in der Schweiz, in Deutschland und Österreich oft kinderlos sind. Der Rückgang von Geburtenzahl und Samenqualität ist laut den Autoren zum Stillstand gekommen. 20 Prozent der Frauen, die um 1965 geboren wurden, sind in den drei Ländern kinderlos. In der Schweiz bleiben Frauen mit guter Bildung besonders oft ohne Nachwuchs. Karriere und Kinder seien schwer zu vereinbaren. Dabei wünschen sich Paare in Europa 2 Kinder. Im Schnitt sind es 1,5 Kinder. Die Autoren präsentieren den Wissensstand, sparen aber nicht mit Fachbegriffen.
Günter Stock et al. (Hrsg.), «Zukunft mit Kindern», Campus, ca. Fr. 40.–
Fairness macht zufrieden
«Wie kann man in schwierigen Situationen gerechte Entscheide treffen?», fragt Michael J. Sandel, politischer Philosoph an der US-Universität Harvard. Er analysiert das Thema Gerechtigkeit mit Beispielen aus Wirtschaft, Politik und Alltag. Sandel ergründet, warum der Militärdienst eine Bürgerpflicht ist. Oder warum es unmoralisch ist, Studienplätze zu versteigern. Sein Konzept für ein gutes, gerechtes Leben: loyal und opferbereit sein, möglichst das Gemeinwohl im Auge behalten. Das Buch ist informativ, unterhaltsam und regt zum Nachdenken über Konventionen und eigene Überzeugungen an.
Michael J. Sandel, «Gerechtigkeit», Ullstein, ca. Fr. 31.50
Meere in Gefahr
Der englische Meeresbiologe Callum Roberts zeigt in seinem aufrüttelnden Buch auf, wie sehr der Mensch den Meeren zusetzt. Er fischt sie leer, verdreckt sie mit Umweltgiften und Plastikmüll und dringt in die Tiefsee oder in die Arktis vor, um Rohstoffe abzubauen. Roberts belegt, dass es schlimm steht um den grössten Lebensraum der Erde. Tatsache ist, dass die Ozeane sich erwärmen, wegen der Aufnahme von Kohlendioxid stetig versauern und der Meeresspiegel steigt. Das hat gravierende Folgen – auch für die Menschen. Der Forscher appelliert eindringlich, das Steuer herumzureissen. Sonst drohe der Untergang.
Callum Roberts, «Der Mensch und das Meer», DVA, ca. Fr. 37.–