Schweden gilt als Musterland des sozialen Ausgleichs in Europa. Die Schere zwischen Arm und Reich ist nicht so gross wie in den südlichen Ländern des Kontinents. Das politische System ist stabil, und das Land dient als Vorbild in Sachen Gleichberechtigung zwischen den Geschlechtern. Warum ist das so?

Oft werde die ausgeprägte soziale Gleichheit in Schweden auf «zeitlose kulturelle Merkmale» zurückgeführt, schreibt der französische Wirtschaftswissenschafter Thomas Piketty in seinem neuen Buch «Natur, Kultur und Ungleichheit». Doch ein Blick in die Geschichte zeigt ein anderes Bild. Erst in den 1930er-Jahren ent­wickelte sich das Land zu einem egalitären Staat.

Bis dahin war es von einer kleinen Kaste von Reichen regiert worden, in der nur das oberste Fünftel der vermögendsten Männer wählen durfte. Das Beispiel Schweden zeige, so der Autor, wie falsch die Vorstellung sei, wonach bestimmte Gesellschaften immer schon egalitär waren, während andere, zum Beispiel Indien, auf ewig ine­galitär seien.

Mehr Rechte und mehr Bildung für alle

Anhand der Entwicklung der Einkommen, des Bildungswesens und der Gleichstellung der Geschlechter zeichnet Piketty nach, wie die Ungleichheit in Europa dank «politischem Kampf» und «kollektivem Lernen» seit dem Ende des 18. Jahrhunderts abnahm und immer mehr Frauen und Männer Zugang zu ­politischen Rechten, Bildung, ­Gesundheit und Wohlstand erhielten.

Doch neue Probleme wie die fortschreitende Zerstörung der Natur würden diese Errungenschaften gefährden, warnt der Ökonom. Und er holt zu einer provokativen These aus: Die drohende ökologische Krise könne nur abgewendet werden, wenn sich ein neues Wirtschaftssystem etabliere, das sich «radikal vom aktuellen Kapitalismus» unterscheide. «Ich spreche von einem partizipativen, de­mo­kratischen und ökologischen Sozialismus», so Piketty. «Aber auch andere Begriffe sind möglich – wir werden sie finden.»

Thomas Piketty, «Natur, Kultur und Ungleichheit», Piper, München 2023, 76 Seiten, 19 Franken