AKW: Leukämie-Risiko bleibt weiterhin ungewiss
Die Uni Bern kam kürzlich zum Schluss: Es gebe «keine Hinweise» dafür, dass AKW-Strahlung das Leukämie-Risiko von Kindern erhöhe. Jetzt kritisieren Experten die Studie massiv.
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saldo 13/2011
28.08.2011
Letzte Aktualisierung:
30.08.2011
Ines Vogel
Es gebe «keine Hinweise für ein erhöhtes Kinderkrebsrisiko in der Nähe von Kernkraftwerken», verkündete die Universität Bern Mitte Juli. Dies ergebe die Canupis-Studie, die sie im Auftrag der Krebsliga und des Bundesamtes für Gesundheit (BAG) durchgeführt hatte. Die beiden AKW-Betreiber Axpo und BKW finanzierten die Studie mit. Der Auftrag der Studie wurde erteilt, nachdem deutsche Forscher gezeigt hatten, dass sich das Leukämie-Risiko f&uum...
Es gebe «keine Hinweise für ein erhöhtes Kinderkrebsrisiko in der Nähe von Kernkraftwerken», verkündete die Universität Bern Mitte Juli. Dies ergebe die Canupis-Studie, die sie im Auftrag der Krebsliga und des Bundesamtes für Gesundheit (BAG) durchgeführt hatte. Die beiden AKW-Betreiber Axpo und BKW finanzierten die Studie mit. Der Auftrag der Studie wurde erteilt, nachdem deutsche Forscher gezeigt hatten, dass sich das Leukämie-Risiko für Kinder um AKW verdoppelt. Die Krebsliga zeigt sich jetzt überzeugt, mit dieser «hervorragenden Arbeit die Verantwortung gegenüber der Bevölkerung wahrgenommen zu haben».
Doch viele Wissenschafter und Ärzte können darüber nur den Kopf schütteln. So der deutsche Bio-Mathematiker Hagen Scherb vom Münchner Helmholtz-Institut, der die deutschen Forscher beraten hatte. Für Scherb ist die Aussage, es gebe keine Hinweise auf ein Krebsrisiko, «irreführend». Der Grund: «Die Studie hat nicht genügend statistische Nachweiskraft.» Denn in der Schweiz leben zu wenig Menschen, um einen Zusammenhang zwischen den radioaktiven Strahlen und Leukämie zu beweisen – weil Leukämie selten auftritt und damit der Zufall einen starken Einfluss auf das Ergebnis hat.
Studie berücksichtigte nur den Geburtsort der untersuchten Kinder
Der deutsche Physiker Alfred Körblein kam sogar zum Schluss: Wenn man die Studie richtig auswertet, dann weist sie auf ein erhöhtes Risiko hin. Die Canupis-Studie konzentriere sich darauf, wo die untersuchten Kinder bei der Geburt gewohnt hätten. Den Wohnort zum Zeitpunkt, als die Leukämie ausgebrochen war, habe man zu wenig berücksichtigt. Würde man das mit einbeziehen, wäre das Risiko für Kleinkinder um Schweizer AKW um rund 40 Prozent erhöht. So wären elf Kinder an Leukämie gestorben und nicht sieben bis acht.
Die Canupis-Studie hat zudem nur Kinder untersucht, die in einem Radius von 15 Kilometern zu einem AKW wohnten. Das ist zu wenig, wie Hagen Scherb sagt. Denn es gebe Hinweise, dass die AKW-Strahlen die Gene von Ungeborenen in der weiteren Umgebung schädigen. Scherb: «Man hätte grossräumiger untersuchen müssen.»
Die Studie hatte nur Kinder aus der Schweiz berücksichtigt – obwohl Beznau I und II sowie Leibstadt nahe der deutschen Grenze stehen. Für den Basler Krebsspezialisten Claudio Knüsli von den Ärzten für soziale Verantwortung hätte man diese Kinder einbeziehen müssen.
Der Bund sieht keinerlei Handlungsbedarf
Gegenüber saldo bestreitet die Krebsliga, dass sie «irreführend» informiert habe. Es sei «keineswegs» klar, dass von AKW «keine schädliche Wirkung» ausgehe. Darauf hätte sie in Medienmitteilungen deutlich hingewiesen.
Die Studienleiter der Uni Bern halten fest, dass die Leukämie-Fälle rund um AKW «nicht von zufälligen Abweichungen unterscheidbar» seien. Statistisch sei bei diesen Daten zwar ein mehr als doppelt so hohes Risiko wie normal möglich – aber auch ein geringeres. Auch halten sie daran fest, sich auf den Wohnort der Kinder bei der Geburt zu stützen: Dieser sei «relevanter» als der Wohnort bei Ausbruch der Krankheit.
Obwohl das BAG ein Krebsrisiko für Kinder nicht ausschliesst, sieht es keine Veranlassung, etwas zu unternehmen. Man habe bisher bei keinem AKW «gesundheitsgefährdende Werte» an Radioaktivität gemessen.