Kaum eine Woche vergeht, in der nicht Politiker oder Medien behaupten: Die Bevölkerung wird ­immer älter. Deshalb würden AHV und Pensionskassen bald in eine finanzielle Schieflage geraten.

Die Jungfreisinnigen erhoffen sich mit der Verunsicherung der Bevölkerung einen Erfolg ihrer Initiative für ein höheres Rentenalter, über die am 3. März neben der Initiative für eine 13. AHV-Rente ebenfalls abgestimmt wird. «Weil wir immer länger leben, müssen wir auch länger arbeiten, damit die AHV nachhaltig finanziert bleibt», begründen die Initianten auf ihrer Internetseite die Forderung für ein Rentenalter 66.

Sie malen den Teufel an die Wand: «Die aktuelle Situation erfordert dringend Lösungen, da die Schulden der AHV bis 2050 auf beeindruckende 150 Milliarden Franken ansteigen könnten.»

Doch lebt die Schweizer Bevölkerung tatsächlich immer länger? Das Bundesamt für Statistik veröffentlicht regelmässig Zahlen zur Lebenserwartung. Diese zeigen seit dem Jahr 2010 nur eine geringe Erhöhung: Danach konnten 65-jährige Männer im Jahr 2010 mit einer durchschnittlichen Lebenserwartung von 18,9 Jahren rechnen. Im Jahre 2022 war es knapp ein Jahr mehr (19,8 Jahre).

Bei den Frauen ist der Unterschied geringer: Ihre Lebenserwartung stieg in der gleichen Periode von 22,2 auf 22,5 Jahre. Die Entwicklung verlief nicht linear – es war ein Auf und Ab.

Keine aussagekräftigen Zahlen zur Situation der AHV

Diese Zahlen des Bundesamts für Statistik sind stets eine Schätzung für die Zukunft. Sie basieren auf der Anzahl Todesfälle pro Jahr, der Altersstruktur der Bevölkerung und anderen Faktoren, wie zum Beispiel Annahmen über ­einen künftigen medizinischen Fortschritt.

Prognosen sind ­naturgemäss unsicher. Für die finanzielle Situation der AHV dagegen ist zentral, wie lange die Kassen durchschnittlich Renten zahlen müssen. Wie lange also Männer und Frauen ab Alter 65 noch leben.

Die AHV-Ausgleichskassen kennen diese Zahlen. Auf Anfrage von saldo gaben sie dazu aber keine Auskunft und verwiesen auf das Bundesamt für Sozialversicherung oder das Bundesamt für Statistik. Beide Bundesämter sagen, sie könnten diese Frage nicht beantworten, es gebe dazu keine Statistik. Das heisst: Der Bund behauptet, nicht zu wissen, wie lange bisher durchschnittlich den AHV-Rentnern eine Rente ausgerichtet wurde.

Das war 2018 noch anders: Damals gaben die Kassen diese Zahlen auf Anfrage heraus. Der «K-Tipp» verglich die Prognosen des Bundesamts mit den realen Rentenzahlungen der AHV der Jahre 1990 bis 2017 für Bezüger mit Wohnsitz Schweiz. Die Renten werden jeweils bis zum Ende des Todesmonats ausbezahlt. Ergebnis: Die Anzahl Jahre, in denen Pensionierte eine Rente bezogen, war für jeden Jahrgang ein bis zwei Jahre tiefer, als die publizierte Lebenserwartung des Bundesamtes erwarten liess («K-Tipp» 15/2018).

Anzahl der Rentenjahre stagniert seit 2010

Ein Beispiel: Im Jahr 2016 verstor­bene Rentner hatten im Durchschnitt 17,9 Jahre eine Rente bezogen, Frauen
rund 21 Jahre. Das sind im Vergleich zu den Lebenserwartungszahlen des Bundes (19,8 respektive 22,6 Jahre) je fast 2 Jahre weniger. Und: Die Anzahl der Rentenjahre stagnierte 2017 seit sieben Jahren. Die aktuellsten verfügbaren Zahlen aus dem Jahr 2022 be­legen, dass die prognostizierte Lebenserwartung noch immer über den tatsächlich bezahlten Rentenjahren liegt.

saldo verwendete die Zahlen des Bundes­amts für Statistik zur über 65-­jährigen Wohnbevölkerung in der Schweiz. Das waren im Jahr 2022 insgesamt 1 691 623 Menschen. Der Jahrgang mit Alter 65 zählte 98'481 Leute, 105-jährig oder älter waren noch 68 Männer und Frauen. Mit jedem Altersjahr sinkt die Zahl der Rentenbezüger infolge Tod. Das durchschnittliche Todesjahr lag zwischen 83 und 84 Jahren. Das entspricht einer durchschnittlichen Lebenserwartung im Alter 65 von etwas über 18 Jahren.

Zum Vergleich: Das Bundesamt für Statistik prognostizierte 2022 den 65-jährigen Männern eine Lebenserwartung von 19,7 Jahren, den Frauen von 22,5 Jahren.