Wenn der Spielspass aufhört
Noch immer enthalten viele Spielsachen aus Kunststoff gefährliche Weichmacher. Säuglinge und Kleinkinder reagieren besonders sensibel.
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saldo 20/2005
07.12.2005
Spielzeug soll nicht nur Spass bereiten, es muss auch sicher sein. Leider ist dies nicht bei allen Produkten der Fall. Das zeigt eine Untersuchung der Fédération Romande des Consommateurs (FRC): 8 von 16 untersuchten Produkten enthielten grosse Mengen an giftigen Phthalaten.
Wenn sich kleine Kinder phthalathaltiges Spielzeug in den Mund stecken, kann das gefährliche Folgen haben. Das zeigt eine Untersuchung des Umweltmedizinischen Instituts der Uni Erlangen (D). Das Team um Pro...
Spielzeug soll nicht nur Spass bereiten, es muss auch sicher sein. Leider ist dies nicht bei allen Produkten der Fall. Das zeigt eine Untersuchung der Fédération Romande des Consommateurs (FRC): 8 von 16 untersuchten Produkten enthielten grosse Mengen an giftigen Phthalaten.
Wenn sich kleine Kinder phthalathaltiges Spielzeug in den Mund stecken, kann das gefährliche Folgen haben. Das zeigt eine Untersuchung des Umweltmedizinischen Instituts der Uni Erlangen (D). Das Team um Professor Jürgen Angerer hält fest: «Im Tierversuch hat sich gezeigt, dass Phthalate in den Hormonhaushalt eingreifen. So kann es zu Hodenmissbildungen und später zu verminderter Fruchtbarkeit kommen. Säuglinge und Kleinkinder reagieren besonders empfindlich, denn ihre Geschlechtsmerkmale entwickeln sich erst noch.»
Gefährdet seien hauptsächlich männliche Nachkommen, es gäbe aber auch Studien, die Effekte bei weiblichen Nachkommen nachwiesen. Die Einnahme von Phthalaten habe keine unmittelbare Wirkung. Der wissenschaftliche Mitarbeiter Holger M. Koch dazu: «Die Schäden zeigen sich erst 15 bis 20 Jahre später, zum Beispiel dann, wenn der Nachwuchs ausbleibt.»
Die gefährlichen Weichmacher kommen nicht nur in Spielsachen, sondern auch in vielen anderen Produkten wie Bodenbelägen, Kosmetika, Farben, Klebstoffen und Verpackungen vor. Auch Lebensmittel können erheblich belastet sein. Das Team der Uni Erlangen konnte nachweisen, dass die Phthalatbelastung wesentlich höher ist, als bisher angenommen. Bei 10 Prozent der untersuchten Personen lagen die gefundenen Werte für die Phthalattypen DEHP und DBP deutlich über dem Toleranzwert, den die Weltgesundheitsorganisation WHO empfiehlt.
EU verbietet auch drei weitere Weichmacher
Um wenigstens Kinder besser vor den unerwünschten Substanzen zu schützen, hat die EU im Sommer beschlossen, die drei Phthalate DEHP, DBP und BBP in Kinderspielsachen generell zu verbieten. Drei weitere Weichmacher (DINP, DIDP und DNOP) werden in allen Spielsachen verboten, die Babys und Kleinkinder in den Mund nehmen können. Die EU hat das Verbot zwar ausgesprochen, allerdings noch nicht in die Praxis umgesetzt.
Die Schweiz will diese Regelung laut Kurt Lüthi vom Bundesamt für Gesundheit ebenfalls übernehmen, warte aber noch die Umsetzung in der EU ab. Bis dahin gilt die Schweizer Regelung, die besagt, dass Spielzeug aus Kunststoff für Kinder bis drei Jahre, das «bestimmungsgemäss oder vorhersehbar in den Mund genommen wird», keine Phthalate enthalten darf. Bei Spielzeug für Kinder ab drei Jahren existiert keine Regelung - das Gesetz erlaubt den Herstellern also, die gefährlichen Weichmacher einzusetzen.
Das Testergebnis zeigt deutlich, dass die Produzenten diesen gesetzlichen Spielraum auch ausnützen: Während bei den Spielsachen für die ganz Kleinen nur gerade ein Produkt Weichmacher enthielt, waren in der Kategorie für die Älteren 7 von 10 Produkten belastet. Doch Kleinkinder kümmert die gesetzliche Regelung wenig, sie stopfen sich Dinge in den Mund, unabhängig davon, ob die Spielsachen dafür vorgesehen sind oder ob es sich um die Puppe oder Spielfigur der älteren Schwester handelt.
Die Hersteller setzen die Weichmacher in hohen Konzentrationen ein: Fast 40 Prozent fand das Testlabor bei der Puppe Candyz Phoebe. Auch die Badeente Rubba Ducks Daizee enthielt über 28 Prozent Weichmacher. In diesem Fall ist besonders störend, dass der Hersteller das Spielzeug auch für Kinder unter drei Jahren empfiehlt. Thomas Brägger von der Importfirma Max Bersinger AG hat aufgrund der Ergebnisse eine identische Badeente analysieren lassen - das Labor fand darin keine Weichmacher. Die FRC liess die ursprünglich analysierte Ente daraufhin von zwei verschiedenen Instituten erneut untersuchen - und beide Labors fanden wiederum die bedenklichen Weichmacher. Brägger: «Wir haben aufgrund dieser unklaren Situation entschieden, das Produkt nicht mehr weiter zu vertreiben.»
Auch Manor hat reagiert und die belastete Ente aus dem Sortiment genommen. Die Puppe Baby chouchou des Herstellers Zapf Creation AG enthielt 28 Prozent Phthalate. Sprecherin Monika Worofsky betont, dass der gefundene Weichmacher DINP gesetzlich zulässig sei. Allerdings werde diese Puppe seit 2004 mit einem phthalatfreien Weichmacher hergestellt. Beim getesteten Exemplar müsse es sich also um eine ältere Puppe handeln.
Es gibt auch unproblematische Alternativen
Manche Hersteller handeln auch ohne Druck des Gesetzgebers. Das zeigt das Beispiel der Firma Bullyland, die verschiedene Spielfiguren aus Kunststoff herstellt. Bereits im Jahr 2000 hat der Hersteller beschlossen, auf den Einsatz der gefährlichen Weichmacher zu verzichten. Importeur Dieter Gammeter: «Die Bullyland-Figuren bestehen aus synthetischen Kautschuk-Materialien und als Weichmacher dient ein unbedenkliches, medizinisches Weissöl.»
jeb.
Was sind Phthalate?
Phthalate werden PVC und anderen Kunststoffen zugesetzt, um sie elastisch zu machen. PVC ohne Weichmacher wäre so spröde wie eine ungekochte Nudel. Bei den Phthalaten handelt es sich um verschiedene Formen von Phthalsäurediester.
Weil die Phthalate mit dem Kunststoff keine chemische Bindung eingehen, können sie wieder herausgelöst werden. Etwa dann, wenn Kinder an den Spielsachen nuckeln. Eine Deklarationspflicht existiert nicht. Wer Spielzeug ohne bedenkliche Weichmacher kaufen will, wählt am besten Produkte aus Kautschuk oder solche mit der Aufschrift «ohne PVC».