Riesenprofit für Coiffeure und Zwischenhändler
Haarverlängerungen boomen. Doch die Coiffeur-Kundinnen wissen nicht, woher die Haare stammen. saldo-Recherchen zeigen: Indische Kinder gefährden bei der Arbeit ihre Gesundheit.
Inhalt
saldo 10/2008
26.05.2008
Letzte Aktualisierung:
27.05.2008
Eric Breitinger
Nach dem Vorbild der Haarpracht von Angelina Jolie oder Claudia Schiffer schmücken sich immer mehr Schweizerinnen mit fremdem Haar, sogenannten Haar-Extensions. Den Boom belegt die Schweizer Aussenhandelsstatistik: 2007 hat die Schweiz doppelt so viel Produkte aus Menschenhaar importiert wie im Jahr 2000, insgesamt 10 Tonnen. 95 Prozent davon, schätzen Branchenkenner, sind Haar-Extensions. Damit könnten sich bis zu 100 000 Frauen ihr Haar verlängern lassen.
Schw...
Nach dem Vorbild der Haarpracht von Angelina Jolie oder Claudia Schiffer schmücken sich immer mehr Schweizerinnen mit fremdem Haar, sogenannten Haar-Extensions. Den Boom belegt die Schweizer Aussenhandelsstatistik: 2007 hat die Schweiz doppelt so viel Produkte aus Menschenhaar importiert wie im Jahr 2000, insgesamt 10 Tonnen. 95 Prozent davon, schätzen Branchenkenner, sind Haar-Extensions. Damit könnten sich bis zu 100 000 Frauen ihr Haar verlängern lassen.
Schweizer Coiffeur-Kundinnen erfahren jedoch nicht, woher die neuen Haare kommen, die ihnen ihr Coiffeur in den Schopf montiert. Denn auf dem Etikett jeder Extensions-Strähne stehen zwar Angaben zu Farbe und Länge, aber keine Hinweise zum Herkunftsland. «Die Branche verwischt die Herkunft ihrer Waren», kritisiert ein Badener Coiffeur, der seit zehn Jahren Haar-Extensions anbietet.
Die drei grössten Schweizer Zwischenhändler verweisen auf Partner in Süditalien. Von ihnen bezögen sie alle gebrauchsfertigen Extensions, die sie an Coiffeur-Salons verkauften. «Unser Haar kommt immer aus Indien», sagt ein Sprecher des in Neapel ansässigen Unternehmens Euro So Cap.
Oft müssen Kinder die staubigen Haarknäuel sortieren
Gemäss den saldo-Recherchen stammt der Rohstoff der meisten in die Schweiz importierten Haarverlängerungen tatsächlich aus Indien: Indisches Haar hat eine ähnliche Struktur wie europäisches und ist daher für Verlängerungen gut geeignet. Laut Schweizer Zwischenhändlern präparieren auch die Fabriken bei Neapel Haar aus Indien, etwa indem sie es waschen, bleichen und färben.
Als Haarlieferant ist Indien jedoch problematisch. «In Indiens Haarindustrie gibt es Kinderarbeit», sagt Abha Duggal von der Nichtregierungsorganisation Global March Against Child Labour. Dies bestätigte sich jüngst in der Hauptstadt New Delhi, wo bei Razzien mehrere Fälle von Kinderarbeit aufgedeckt wurden.
Auf Kinderarbeit stiess auch der in New Delhi arbeitende Fotoreporter Adrian Fisk bei Recherchen im Bundesstaat Andhra Pradesh. Er fotografierte in einer Haarfabrik in der Stadt Eleru zahlreiche Kinderarbeiter. Die meisten waren dabei, Haare zu entknoten. Die Haarknäuel stammten aus Kämmen und Bürsten von Dorfbewohnerinnen, welche die Zwischenhändler regelmässig besuchten.
Die Arbeit ist gesundheitsgefährdend: «Das Dorfhaar ist schmutzig und voller Knoten, daher bekommen oft Kinder die Aufgabe, es mit ihren kleinen, flinken Fingern zu sortieren», sagt Fisk. Die Kinder tragen dabei in der Regel keine Schutzkleidung oder Masken gegen die Staubpartikel. Die Hongkonger Zeitung «The Standard» zitiert einen Arzt der Gesundheitsstation im Zentrum der Haarindustrie im südlichen Staat Karnataka, der berichtet, dass 40 Prozent seiner monatlich 1300 Patienten an Atemwegserkrankungen litten, einige auch an Tuberkulose. Grund: Beim Hantieren mit den Haaren gelangten leicht Staubpartikel in die Lungen der Arbeiter.
Coiffeur-Kundinnen: Über 2000 Franken für die Haarverlängerung
Den Profit im globalen Haar-Business machen andere. Bei Schweizer Coiffeuren kostet eine Haarverlängerung je nach Haarlänge und -güte sowie Aufwand zwischen 700 und über 2000 Franken. Dafür brauchen sie in der Regel mindestens hundert Strähnen à 1 Gramm. Bei Schweizer Zwischenhändlern gibt es diese Menge verarbeitungsfertiges, 50 Zentimeter langes Normalhaar aus Indien bereits ab 195 Franken.
Bruttomargen bis knapp 50 Prozent liegen nach eigenen Angaben auch für die Zwischenhändler drin. Auch die italienischen Importeure machen einen guten Schnitt: Die saldo-Recherchen ergaben, dass sie in Indien im Mai 2007 umgerechnet 100 Gramm 50 Zentimeter langes Tempelhaar für 25 Franken kaufen konnten. Die gleiche Menge gesammeltes Haar minderer Qualität gab es bereits für unter 10 Franken.
Für die indischen Spender und Arbeiter bleibt hingegen wenig übrig. Wer sich aus religiösen Gründen den Kopf im Tempel scheren lässt, bekommt nichts. Den Erlös streicht der Tempel ein. «In den Dörfern tauschen die Händler gesammeltes Haar gegen Süssigkeiten, Plastikspielzeug oder billigen Schmuck ein», berichtet Adrian Fisk. Mager sind auch die Löhne in der Haarindustrie: Laut Berichten bekommt eine erwachsene Arbeiterin zwischen 18 und 35 Rupien am Tag, das sind 50 bis 90 Rappen.