Vitamine in Süssigkeiten: Für Kinder schädlich
Viele Eltern geben ihren Kindern Multivitamin-Präparate. Doch Experten sind sich einig: Solche Produkte sind sinnlos – und einige können sogar schaden.
Inhalt
saldo 07/2010
11.04.2010
Letzte Aktualisierung:
12.04.2010
Sabine Rindlisbacher
Wenn es um die Entwicklung von Nahrungsergänzungen für Kinder geht, kennt die Fantasie der Hersteller keine Grenzen. Nestlé lockt mit den weissen Schokotäfelchen Nestrovit. Bayer vertreibt Oranol Toffees und Sirup. Burgerstein verkauft die Kautabletten Vita Mini mit Elefantensujet. Bei Migros gibt es Actilife Vitamin Gummibärli. Diesen ähnlich sind die Yaya Bears von Amapharm.
Die Versprechen der Hersteller: Ihre Produkte sollen den Vitaminbedarf de...
Wenn es um die Entwicklung von Nahrungsergänzungen für Kinder geht, kennt die Fantasie der Hersteller keine Grenzen. Nestlé lockt mit den weissen Schokotäfelchen Nestrovit. Bayer vertreibt Oranol Toffees und Sirup. Burgerstein verkauft die Kautabletten Vita Mini mit Elefantensujet. Bei Migros gibt es Actilife Vitamin Gummibärli. Diesen ähnlich sind die Yaya Bears von Amapharm.
Die Versprechen der Hersteller: Ihre Produkte sollen den Vitaminbedarf decken, beim Wachstum helfen, Müdigkeit und Konzentrationsschwäche bekämpfen sowie die körperliche und geistige Leistungsfähigkeit erhöhen – auch bei den Kleinsten. Die meisten Präparate richten sich an Kinder ab 4 Jahren. Vita Mini dürfen schon 3-Jährige kauen. Keine Altersbegrenzung gibt Bayer für Oranol Toffees und Sirup.
Damit die Kinder zugreifen, sind alle Produkte gesüsst. Einige enthalten heikle Süssstoffe wie Aspartam und Acesulfam. Nestrovit, Oranol Sirup und Yaya Bears bestehen in erster Linie aus Zucker. Die Nachfrage nach Multivitamin-Präparaten für den Nachwuchs ist gross. Laut Markt-forschungsinstitut IMS haben Schweizer Apotheken und Drogerien letztes Jahr über 300‘000 Packungen verkauft – und damit einen Umsatz von rund 7 Millionen Franken erzielt.
Fachleute raten Eltern vom Kauf dieser Produkte ab
Für das Bundesamt für Gesundheit (BAG) sind diese Zahlen «bedenklich». Elisabeth Nellen, Sektionsleiterin Lebensmittel und Gebrauchsgegenstände: «Ergänzungsmittel sind nicht notwendig.» Laut BAG nehmen die Menschen in der Schweiz mit der normalen Ernährung genügend Vitamine und Mineralstoffe zu sich.
Philippe Beissner, Facharzt für Innere Medizin an der Klinik Hirslanden in Zürich, rät Eltern vom Kauf ab. Eine falsche Ernährung könne nicht durch die Zugabe von Vitaminen korrigiert werden. Beissner: «Kinder mit nachgewiesenem Vitaminmangel brauchen in der Regel einen gezielten, oft auch höher dosierten Einsatz, und dies unter ärztlicher Kontrolle.» Dem Arzt stösst auch der Zucker in den Präparaten sauer auf: «Eine zusätzliche Zuckerzufuhr unter dem Deckmantel gesunder Zusatzstoffe ist nicht nur schädlich, sondern auch zynisch.»
Diese Meinung teilt Christian Braegger, Professor am Kinderspital Zürich. In Süssigkeiten verpackte Vitaminpräparate mit hohem Zuckergehalt seien unnötige Produkte – und nicht ungefährlich. «Wenn sie gut schmecken und in grösseren Mengen konsumiert werden, könnte sogar die Gefahr einer Vitaminüberdosierung bestehen.» Zudem können Nahrungsergänzungsmittel schlechte Ernährungsgewohnheiten fördern. «Kinder sollen lernen, sich gesund und ausgewogen zu ernähren, ohne auf vermeintliche Hilfsmittel zurückzugreifen.»
Schon ein Yaya Bear pro Tag enthält für ein Kind zu viel Vitamin A
Die Industrie zeigt wenig Einsehen. Claudia Meyer, Geschäftsführerin von Protzek Pharma, welche die Yaya Bears vertreibt: «Auch bei einer ausgewogenen Ernährung ist die Abdeckung der Vitamine nicht zu 100 Prozent gesichert.» Darauf angesprochen, dass die Bären vor allem aus Zucker bestehen, sagt Meyer: «Zucker ist ein natürliches Konservierungsmittel.» Auch Migros rechtfertigt ihr Angebot.
Laut Sprecherin Monika Weibel ist die Dosierung der Actilife-Vitaminpräparate «absichtlich sehr vorsichtig gewählt». Ausserdem weise man auf der Verpackung darauf hin, dass die angegebene Tagesdosis nicht überschritten werden soll. Doch auch wer sich an die empfohlene Dosis hält, geht mitunter ein Risiko ein.
Die deutsche Stiftung Warentest hat vor zwei Jahren 23 Nahrungsergänzungsmittel für Kinder getestet. Ergebnis: 18 waren «nicht geeignet». Die meisten Fitmacher waren überdosiert. So auch die Yaya Bears. Laut Hersteller sollen Kinder ein Stück pro Tag essen. Das ist zu viel, sagt Warentest. Mit einem Bär werde so viel Vitamin A aufgenommen, dass es für die Kinder schädlich sei.