Ein Beispiel: Ein lediger Büroangestellter wohnt im Dorf Diemtigen BE. Er pendelt jeden Tag mit dem Auto nach Bern zur Arbeit. Für beide Wege legt er 94 Kilometer zurück. Er darf in der Steuererklärung 14 000 Franken für Autofahrkosten abziehen, weil das Diemtigtal mit dem öffentlichen Verkehr schlecht erschlossen ist. Dank dieses Abzugs beträgt sein steuerbares Einkommen nur noch 56 000 Franken. Gemäss dem Steuerrechner des Kantons Bern zahlt er dieses Jahr 10 888 Franken Gemeinde- und Kantonssteuern.
Künftig muss er mit einer happigen Steuererhöhung rechnen. Denn die Berner Regierung will den Pendlerabzug in der Steuererklärung auf 3000 Franken begrenzen. Für den Büroangestellten würde das bedeuten, dass seine Steuerlast um 2654 auf 13 542 Franken ansteigt – ein Plus von 24,4 Prozent.
Bern ist nicht der einzige Kanton, der den bisher unbeschränkten Pendlerabzug massiv reduzieren will. Fast alle Kantone befassen sich mit einer Obergrenze des Abzugs – oder haben bereits entschieden. Das ergibt eine Recherche von saldo in der deutschsprachigen Schweiz (siehe Tabelle). Einzig in den Kantonen Appenzell Innerrhoden, Freiburg und Wallis ist eine Einschränkung des Pendlerabzugs bisher kein Thema.
Bei Bundessteuer gilt maximal ein Abzug von 3000 Franken
Auslöser dieser Steuererhöhungen auf Kosten der Pendler ist die Bahnfinanzierungsvorlage Fabi, der die Stimmberechtigten am 9. Februar 2014 zustimmten. Mit dieser wurde der Pendlerabzug bei der Bundessteuer auf 3000 Franken begrenzt. Damit fliessen jährlich zusätzliche 200 Millionen Franken an Steuergeldern in die Bundeskasse. Die neue Regelung tritt Anfang 2016 in Kraft.
Im Zusammenhang mit dem Fabi-Gesetz stellte es der Bund den Kantonen frei, ob sie den Pendlerabzug ebenfalls beschränken wollen. Eine Erhöhung der Staats- und Gemeindesteuern würde die meisten Erwerbstätigen weit mehr treffen als bei der Bundessteuer.
Appenzell-Ausserrhoden hat von der neuen Möglichkeit bereits Gebrauch gemacht: Ab dem laufenden Steuerjahr dürfen für den Arbeitsweg maximal 6000 Franken abgezogen werden. Von dieser neuen Limite sind rund 10 Prozent der Steuerpflichtigen betroffen. Sie zahlen höhere Steuern.
Die Regierungen anderer Kantone wollen noch weiter gehen und den Maximalabzug für Arbeitswegauslagen wie beim Bund auf höchstens 3000 Franken festlegen. Im Kanton Zürich läuft eine entsprechende Vernehmlassung. Stärker belastet würden nicht weniger als 156 535 Pendler – oder 18 Prozent der Steuerpflichtigen. Im Kanton Bern müssten bei dieser Obergrenze 127 0000 Pendler oder 19,6 Prozent der Steuerpflichtigen mehr bezahlen.
In den Kantonen Basel-Stadt und Schaffhausen haben die zuständigen Regierungen ebenfalls eine Obergrenze von 3000 Franken beantragt. Die St. Galler Regierung ist damit nicht ganz durchgekommen: In erster Lesung hat das Kantonsparlament entschieden, den Abzug auf Höhe eines Generalabonnements 2. Klasse zu begrenzen – also auf zurzeit 3655 Franken.
«Das ist ein Beitrag zur Sanierung des Staatshaushalts»
Die Kantone rechtfertigen die Steuererhöhungen für Pendler mit höheren Kosten, die ihnen durch die Umsetzung der Fabi-Vorlage entstehen. Daneben führen sie die Bekämpfung der Zersiedlung an oder – so der Kanton Zürich – die Vermeidung einer «Verkomplizierung» der Veranlagung wegen unterschiedlicher Regeln für Bund und Kanton. Viele Kantone geben aber zu, dass sie vor allem mehr Geld wollen. «Das ist ein Beitrag zur Sanierung des Staatshaushaltes», heisst es etwa beim Kanton Thurgau.
Mit der Begrenzung der Pendlerabzüge treffen die Kantone vor allem den Mittelstand. Ein Arbeitnehmer, der zu seiner Arbeitsstelle pendelt, kann in der Steuererklärung nur Kosten abziehen, die ihm tatsächlich entstanden sind. Der heutige Arbeitsmarkt zwingt viele, längere Arbeitswege in Kauf zu nehmen. Nun trifft sie neben dem hohen Zeitaufwand dafür auch noch eine Strafsteuer. Autopendler können ihre Auslagen für den Weg zur Arbeit ohnehin nur in Abzug bringen, wenn nachweislich kein öffentliches Verkehrsmittel zur Verfügung steht oder dessen Benützung unzumutbar ist (z.B. Schichtarbeit, massiv höherer Zeitaufwand). Die Beschränkung des Pendlerabzuges trifft aber auch Bahnfahrer: Bei einer Limite von 3000 Franken sind die Kosten für ein Generalabonnements der 1. oder 2. Klasse oder bestimmte Verbundabos nicht mehr voll abzugsfähig.
Der Kanton Bern ist sich bewusst, dass die Begrenzung des Fahrkostenabzuges «aus verfassungsmässiger Sicht problematisch» ist: Wenn nicht mehr alle Kosten, die zur Erreichung des Einkommens notwendig sind, zum Abzug zugelassen werden, führt dies zu einer Überbesteuerung. Das heisst: Berufstätige müssen ein Einkommen versteuern, das sie gar nicht erzielt haben. Das widerspricht dem Verfassungsgebot der Besteuerung nach wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit, heisst es in Bern.
In drei Kantonen haben die Parlamentarier entsprechenden Plänen bereits eine Absage erteilt. Die Ratsmehrheiten von Aargau, Luzern und Solothurn wollten nichts davon wissen, den Pendlerabzug auf 3000 Franken zu begrenzen. In Bern, Obwalden, St. Gallen und Thurgau steht bald ein Parlamentsentscheid an. In einigen Kantonen hat das Volk das letzte Wort.