Pestizide: Gefahr fürs Nervensystem
Das Bundesamt für Landwirtschaft bewilligt vorübergehend den Einsatz von heiklen Pestiziden, die Bienen töten.
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saldo 10/2020
26.05.2020
Eric Breitinger
Seit 2013 dürfen Neonikotinoide in der Schweiz nur stark eingeschränkt eingesetzt werden. Der Grund: Diese Pestizide führen zum Tod von Bienen und anderen Insekten. Dennoch erlaubt das Bundesamt für Landwirtschaft seit Jahren immer wieder die vorübergehende Anwendung. Jüngstes Beispiel: Die Bauern dürfen bis Ende Oktober sieben Produkte einsetzen, die Acetamiprid enthalten. Sie dürfen mit den Spritzmitteln zweimal Tomaten, Gurken oder Peperoni, abe...
Seit 2013 dürfen Neonikotinoide in der Schweiz nur stark eingeschränkt eingesetzt werden. Der Grund: Diese Pestizide führen zum Tod von Bienen und anderen Insekten. Dennoch erlaubt das Bundesamt für Landwirtschaft seit Jahren immer wieder die vorübergehende Anwendung. Jüngstes Beispiel: Die Bauern dürfen bis Ende Oktober sieben Produkte einsetzen, die Acetamiprid enthalten. Sie dürfen mit den Spritzmitteln zweimal Tomaten, Gurken oder Peperoni, aber auch Birnen oder Zwetschgen besprühen. Das soll vor der Baumwanze schützen. Zudem ist der Einsatz bei Kirschen, Zwetschgen, Pfirsichen, Aprikosen oder Trauben erlaubt, wenn diese von der Kirschessigfliege befallen sind.
Wirksamkeit ist nicht garantiert
Das Bundesamt begründet die Ausnahmebewilligung damit, dass es noch keine anderen Mittel zur Bekämpfung der eingewanderten Schädlinge gebe. Dabei gibt das Amt zu, dass die Wirksamkeit der Neonikotinoide «nicht garantiert» sei. Sie seien nie unter hiesigen Bedingungen gegen die Schädlinge getestet worden.
Gemäss dem Pestizidexperten Ralph Hablützel aus Dättlikon ZH gibt es Alternativen: Netze spannen, Wanzen mit Pheromonfallen anlocken oder mit Staubsaugern aufsaugen. Auch Nützlinge können helfen. Larven der Samurai-Schlupfwespe fressen zum Beispiel Wanzeneier auf.
Die Schaffhauser Nationalrätin Martina Munz (SP) ärgert sich über die Ausnahmebewilligung. Grund: «Neonikotinoide schädigen auch Nützlinge.» Auch Andreas Bosshard von der Agrarvereinigung Vision Landwirtschaft kritisiert die «Zulassung durch die Hintertür». Keine Behörde überprüfe, wo und wie die Gifte zum Einsatz kämen. 2012 kauften Bauern laut offizieller Statistik 230 Kilogramm Acetamipridpestizide. 2018 waren es 601 Kilo. Dabei schränkte das Bundesamt den Einsatz dieser Produkte 2014 offiziell ein.
Das Gift gelangt auch ins Essen. Das Berner Testlabor Qualiservice suchte von 2010 bis 2019 in 20 000 Früchte- und Gemüseproben nach Pestiziden. In 513 Proben fanden sich Acetamipridrückstände. Vision Landwirtschaft rät, mit Acetamiprid behandelte Früchte oder Gemüse nicht zu essen. Der Stoff kann laut der Europäischen Lebensmittelbehörde das menschliche Nervensystem schädigen.