Patienten müssen tief in die eigene Kasse greifen
Die Schweizer bezahlen weltweit fast am meisten für medizinische Dienstleistungen selber. Dies geht zulasten der sozial schwächeren Kranken.
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saldo 18/2011
06.11.2011
Letzte Aktualisierung:
08.11.2011
Marc Mair-Noack
Die Preise für medizinische Leistungen sind in der Schweiz sehr hoch. Deshalb sind die Krankenkassenprämien entsprechend teuer. Das ist nicht neu. Bisher nicht bekannt war aber: Die Schweizer zahlen im weltweiten Vergleich fast am meisten aus der eigenen Tasche, wenn sie krank sind. Das zeigt eine Untersuchung des Schweizerischen Gesundheitsobservatoriums Obsan. Die Schweizer zahlen mit 19 Milliarden Franken oder 31 Prozent der gesamten Kosten für die Gesundheit knapp einen Dri...
Die Preise für medizinische Leistungen sind in der Schweiz sehr hoch. Deshalb sind die Krankenkassenprämien entsprechend teuer. Das ist nicht neu. Bisher nicht bekannt war aber: Die Schweizer zahlen im weltweiten Vergleich fast am meisten aus der eigenen Tasche, wenn sie krank sind. Das zeigt eine Untersuchung des Schweizerischen Gesundheitsobservatoriums Obsan. Die Schweizer zahlen mit 19 Milliarden Franken oder 31 Prozent der gesamten Kosten für die Gesundheit knapp einen Drittel selbst.
Damit liegt die Schweiz auf dem dritten Platz aller Länder der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD). Nur die Mexikaner und die Südkoreaner tragen mit 49 und 35 Prozent noch mehr Kosten selber, wenn sie krank sind (siehe Grafik).
Pflegekosten: In keinem OECD-Land höher als in der Schweiz
Die Patienten in den Nachbarländern kommen deutlich günstiger weg: In Italien zahlen Patienten rund 20 Prozent der medizinischen Leistungen selbst, in Österreich 15 Prozent und in Deutschland 13 Prozent. In Frankreich beträgt der Selbstkostenanteil nur gerade 7 Prozent.
Für die hohen Selbstkosten in der Schweiz sind mehrere Gründe verantwortlich: Im Krankheitsfall führen die Franchise und der Selbstbehalt zu hohen Ausgaben der Privathaushalte. Im Unterschied zu anderen Ländern zahlen die Schweizer zudem die Zahnarztkosten selbst. Ins Gewicht fallen auch die Ausgaben für Pflegeheime, die für die Bewohner monatlich zwischen 5000 und 10 000 Franken betragen (saldo 16/11). In keinem anderen Land ist der Anteil an den Pflegekosten höher, weil es laut Obsan-Studie in der Schweiz keine gesetzliche Pflegeversicherung gibt.
Negativ sind die Folgen des hohen Selbstbehalts vor allem für den ärmeren Teil der Bevölkerung. Thomas Rosemann, Direktor des Institutes für Hausarztmedizin am Universitätsspital Zürich, stellt fest: «Die sozial Schwächeren schauen vermehrt aufs Geld und verzichten daher auf wichtige Impfungen und Vorsorgeuntersuchungen.»
Hoher Selbstbehalt hat Verzicht auf medizinische Leistungen zur Folge
Eine weitere aktuelle Obsan-Studie bestätigt dies: Wegen der hohen Kosten haben gemäss einer Befragung aus dem Jahr 2010 über 6 Prozent der Schweizer auf einen Arztbesuch verzichtet. 4 Prozent haben aus Kostengründen verschriebene Medikamente nicht gekauft. Laut einer Genfer Studie verzichten sogar 14,5 Prozent der Schweizer auf Vorsorgeuntersuchungen, weil sie zu teuer sind.
Die OECD warnt denn auch vor einer weiteren Erhöhung der Zahlungen aus eigener Tasche, weil sonst Patienten mit niedrigem Einkommen immer häufiger auf Arztbesuche verzichten. Für Thomas Rosemann ist die Lösung klar: «Die Krankenkassen sollten bei sozial Schwächeren die Kosten für Impfungen und Vorsorgeuntersuchungen vollständig übernehmen.»