Mogelpackungen: Bis zu 73 Prozent Luftanteil
Die Lebensmittelindustrie verkauft zu viel Luft: Übergrosse Verpackungen täuschen mehr Inhalt vor, als
tatsächlich vorhanden ist. Das ist verboten – doch die Behörden kontrollieren nicht.
Inhalt
saldo 11/2013
09.06.2013
Letzte Aktualisierung:
11.07.2013
Sabine Rindlisbacher
Wer eine Schachtel der Migros-Cracker Party Aperitivo Pomodori e Olive öffnet, greift zuerst einmal ins Leere. Die Packung enthält gerade mal 45 Prozent Cracker, der Rest ist Luft. Enttäuscht sind auch Spar-Kunden, die sich auf eine volle Schachtel Kokoskugeln mit Vollmilchschokolade freuen. Denn der Luftanteil in dieser Verpackung beträgt 56 Prozent. Der Beutel mit Crispy Crunchy Carrot Chips with Paprika aus dem Jelmoli besteht sogar zu 73 Prozent aus Luft.
...
Wer eine Schachtel der Migros-Cracker Party Aperitivo Pomodori e Olive öffnet, greift zuerst einmal ins Leere. Die Packung enthält gerade mal 45 Prozent Cracker, der Rest ist Luft. Enttäuscht sind auch Spar-Kunden, die sich auf eine volle Schachtel Kokoskugeln mit Vollmilchschokolade freuen. Denn der Luftanteil in dieser Verpackung beträgt 56 Prozent. Der Beutel mit Crispy Crunchy Carrot Chips with Paprika aus dem Jelmoli besteht sogar zu 73 Prozent aus Luft.
Das sind Resultate von Messungen des früheren Eichmeisters des Kantons Zürich, Rudolf Metzler. Er hat im Auftrag von saldo den Luftanteil von 30 Verpackungen gemessen. Die Stichproben stammen aus den Regalen von Migros, Coop, Spar, Lidl, Aldi, Globus, Jelmoli und Reformhäusern.
Resultat: In 24 der 30 eingekauften Packungen stellte der Eichmeister einen zu hohen Luftanteil fest. 13 Produkte waren sogar höchstens zur Hälfte gefüllt (siehe Tabelle). Metzler: «Das sind klare Mogelpackungen. Und zwar deshalb, weil das Verpackungsvolumen über 30 Prozent grösser ist, als es für den effektiven Inhalt sein müsste.»
Laut Gesetz dürfen Verpackungen die enthaltene Warenmenge nicht verschleiern und so die Konsumenten täuschen. Zu viel Luft ist nur aus produktionstechnischen Gründen zulässig. Zum Beispiel als Schutz – etwa bei Pommes Chips.
Mogelpackungen: Gesetzliche Kontrolle abgeschafft
saldo hat die Hersteller mit dem Verdikt «Mogelpackung» konfrontiert. Die Migros begründet den hohen Luftanteil bei der Cracker-Packung mit dem sonst «grösseren Bruchanteil». Gemäss Spar schütze die Verpackung «die sehr weichen Kokoskugeln vor Druckstellen». Und Dr. Oetker gibt sich trotz 52 Prozent Luftanteil beim Grundteig überzeugt, dass die Kunden die Verpackung «nicht für eine Mogelpackung halten».
Immerhin: Lidl will die Verpackungen der Lollipops und der Backmischung überprüfen. Auch Nestlé kündigt an, die Piratenschatz-Packung von ihren Spezialisten begutachten zu lassen. Möglich sei eine manuelle Befüllung. Nestlé-Sprecherin Cassandra Buri: «Dies würde aber zu höheren Kosten führen.»
Laut Eichmeister Metzler hat sich «ein relativ hoher Luftanteil in den Verkaufspackungen fest etabliert». Dies diene offenbar der «Verkaufsoptimierung». Metzler: «Grosse Packungen beachten die Kunden eher als kleine.» Aus ökologischer Sicht sei diese Entwicklung «ganz klar negativ. Es braucht mehr Verpackungsressourcen, mehr Transportkapazität, da die Hälfte der Lastwagenladefläche mit Luft gefüllt ist, mehr Regalfläche im Verkaufslokal, die beheizt und beleuchtet werden muss. Und am Ende fällt auch noch mehr Abfall an.»
Das Glück der Lebensmittelindustrie: Aufgrund einer Gesetzesänderung haben die kantonalen Eichmeister seit letztem Januar keinen Auftrag mehr, Mogelpackungen aufzuspüren. Wer sich am hohen Luftanteil in einer Verpackung stört, kann sich ans Staatssekretariat für Wirtschaft in Bern wenden.
Das Staatssekretariat will die betroffenen Hersteller mit den Resultaten der saldo-Stichprobe konfrontieren. Und von ihnen wissen, «wieso der Luftanteil in den Verpackungen so hoch ist».
Kriterien: So wurde gemessen
Der diplomierte Eichmeister Rudolf Metzler verglich für saldo bei 30 Lebensmitteln die Masse der Verpackung mit der effektiven Füllmenge. Dabei berücksichtigte er technische Sachzwänge beim Abfüllvorgang.
Bei luftdichten Beuteln wie zum Beispiel Chips-Packungen arbeitete der Eichmeister mit Wasser. Zuerst drückte er den vollen Beutel in einen Wasserbehälter, um das verdrängte Volumen zu ermitteln. Die Menge des gestiegenen Wasserpegels entspricht dabei dem Volumen des vollen Beutels. Danach entnahm Rudolf Metzler dem Beutel so viel Luft, bis das Füllgut noch locker Platz hatte. Dann dichtete er den Beutel ab und drückte ihn erneut unter Wasser. Die Differenz zwischen der ersten und der zweiten Messung ergab den Volumenanteil Luft in der Packung.
Wenn sich die Beutel in Schachteln befanden, berücksichtigte der Eichmeister für die Messung des gesamten Luftanteils sowohl die Luft im Beutel als auch die Luft in der Schachtel.