Der Mann, der sich im «Blick», im «Tagblatt der Stadt Zürich», in der «Coop-Zeitung» und andernorts als «Hellseher» und «grosses Medium» angepriesen hatte, sitzt vornübergebeugt vor den fünf Richtern des Bezirksgerichts Appenzell Innerrhoden. Grossgewachsen ist er, erst 29 Jahre alt und gibt sich einsilbig. «Ja», «Nein», lauten seine Antworten. Erst am Schluss hebt er zu einem ganzen Satz an: «Ich bitte um Entschuldigung für all das, was ich getan habe.» Der Gerichtspräsident gibt sich ungerührt: «Wir nehmen es zur Kenntnis.»
Ein 62-jähriger Bauer fordert vom «Hellseher» 38 000 Franken Schadenersatz. Zehn weitere Geschädigte verlangen Beträge zwischen 200 und 95 000 Franken zurück, die sie bezahlten oder vermeintlich vorübergehend dem Hellseher anvertrauten. Alle Altersgruppen sind vertreten, von 20 bis 80, von der Taxifahrerin über den Schlosser bis zur vierfachen Mutter und dem Zimmermann.
«Schnelle Rückkehr der Person, die Sie lieben» garantiert
Dem Innerrhoder Landwirt ist es peinlich, dass er in die Falle tappte. Damals, vor gut drei Jahren, wusste er weder ein noch aus, das Leben setzte ihm hart zu: gesundheitliche Sorgen, Pech auf dem Hof, auch in Liebesdingen funkten immer wieder negative Kräfte dazwischen.
Er kam zum Schluss, dass ihn jemand mit schwarzer Magie, mit Satanismus plagen musste. Da las er ein Inserat im «Anzeiger»: «Herr Kader, grosses Medium, Hellseher», stand dort. «Ich gebe die Beweise im Voraus, löse Ihre diskreten Probleme in Liebe, Lotto, Glück, Gesundheit usw., schnelle Rückkehr der Person, die Sie lieben. Resultat ist hundert Prozent garantiert.» Eine Woche vor Weihnachten rief der Bauer diesen Herrn Kader an.
200 Franken kostete ein spirituelles Treffen. Und es schien zu helfen. Es war dem Landwirt, als ob der Druck des Fluchs langsam nachlasse. Doch Anfang Januar erhöhte Herr Kader den Tarif. Zur Fortsetzung der Behandlung sei ein Pfand von 3000 Franken nötig, das Geld werde er zurückerhalten. Der Landwirt zahlte, um sein Leid zu lindern.
Mitte Januar übergab er weitere 1800 Franken. Dann berichtete Herr Kader von einem Rückschlag im Kampf gegen die bösen Geister. Für ein Spezialritual brauche er 300 Gramm Gold. Zusammen mit seinem Bruder konnte es der Landwirt auftreiben. Der Hellseher schwor den beiden beim Leben seiner Kinder, das Gold später zurückzugeben.
So weit kam es nie. Stattdessen stahl das «Medium» nach einer spirituellen Sitzung im Wohnzimmer des Landwirts 22 000 Franken Bargeld. Dann brach Kader den Kontakt ab und erschien zur vereinbarten Geldrückgabe nicht mehr.
Betrügereien auch unter «Oskar», «Baber», «Bebeto» und «Oumar»
Der Bauer rang sich dazu durch, die Polizei einzuschalten. Nach monatelangen Ermittlungen konnte sie den Täter fassen. Wie sich zeigte, ging «Herr Kader» systematisch vor. Er schaltete für über 16 000 Franken Inserate, auch unter den Namen «Oskar», «Bebeto», «Oumar», «Baber» oder «Issa».
Seine Rituale passte er den verzweifelten Hilfesuchenden an. Er verlangte Fotos und Haarsträhnen, pendelte, betete, praktizierte Handlesen und Zahlenmagie, verblüffte mit Geheimtintetricks und weissem Rauch. Oder applizierte bei einem Mann, der seinen Freund zurückhaben wollte, auch mal eine kleine Intimmassage. Dann erfand er Bedrohungen durch böse Mächte und erhöhte die Geldforderungen. Angeblich um den Ritualen mehr Kraft zu verleihen, lieh er sich Goldbarren und Zehntausende von Franken, die er nie zurückgab.
Der Gerichtspräsident fragt den «Hellseher», ob er bei seinem Geständnis bleibe und mit vier Jahren Freiheitsstrafe wegen gewerbsmässigen Betrugs einverstanden sei. Er bejaht. Das Bezirksgericht beurteilt die Strafe nach einstündiger Verhandlung als angemessen, zumal der Mann einschlägig vorbestraft ist. Es heisst die Schadenersatzforderungen der Opfer gut und verpflichtet den «Hellseher» zur Zahlung von insgesamt 237 000 Franken.
Das dürfte dem Landwirt und den anderen Betrogenen wenig nützen. Das Geld ist weg, der «Hellseher» gilt als mittellos.
Prozessieren: Strafprozess: Auch Opfer haben Rechte
In Strafverfahren geht es häufig nicht nur darum, einen Täter zu bestrafen. Auch die Ansprüche der Opfer sind ein Thema. Nach einem Einbruch zum Beispiel haben die Eigentümer von gestohlenen Sachen gegen den Dieb einen Anspruch auf Rückgabe oder Schadenersatz. Oder die Opfer von Betrügern wollen ihr Geld wiedersehen.
Diese Ansprüche können die Geschädigten im Strafverfahren geltend machen. Die Staatsanwaltschaft ist für den Strafantrag zuständig, die Geschädigten für ihre finanziellen Ersatzforderungen. Geldforderungen haben am ehesten Chance auf Gutheissung, wenn sie leicht beweisbar sind.
Komplexere finanzielle Ansprüche wie Schadenersatz nach einem Unfall klagt man besser bei den Zivilgerichten ein.