Fibromyalgie: Mehr als rätselhafte Schmerzen
Wer an Fibromyalgie leidet, hat Schmerzen am ganzen Körper. Die Ursache lag bisher im Dunkeln. Jetzt haben deutsche Forscherinnen entdeckt, dass bei Betroffenen kleine Nervenfasern geschädigt sind.
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saldo 08/2013
01.05.2013
Sonja Marti, Redaktion Gesundheitstipp
Wenn Agnes Richener morgens aus dem Bett steigt, kann sie manchmal kaum gehen: «Die Füsse tun mir so weh», sagt sie. Der Schmerz steckt aber nicht nur in den Füssen. Im Lauf des Tages zeigt er sich im Rücken, in den Armen und Händen, im Nacken oder an den Beinen. «Er ist immer irgendwo in meinem Körper», sagt die 64-Jährige aus Basel. «Der Schmerz fühlt sich an wie ein starker Muskelkater.» Agnes Richener hat Fibromyalgie....
Wenn Agnes Richener morgens aus dem Bett steigt, kann sie manchmal kaum gehen: «Die Füsse tun mir so weh», sagt sie. Der Schmerz steckt aber nicht nur in den Füssen. Im Lauf des Tages zeigt er sich im Rücken, in den Armen und Händen, im Nacken oder an den Beinen. «Er ist immer irgendwo in meinem Körper», sagt die 64-Jährige aus Basel. «Der Schmerz fühlt sich an wie ein starker Muskelkater.» Agnes Richener hat Fibromyalgie. Das heisst so viel wie Faser-Muskel-Schmerz. Früher sprach man auch von Weichteil-Rheuma.
Der Arzt erkennt die Krankheit anhand bestimmter Schmerzpunkte, den sogenannten Tender Points. An diesen Körperstellen – meist zwischen Muskeln und Sehnen – reagieren Fibromyalgie-Patienten besonders empfindlich, wenn man darauf drückt. Studien haben gezeigt, dass 3 bis 4 Prozent der Bevölkerung von dieser Krankheit betroffen sind, Frauen deutlich häufiger als Männer. Oft leiden die Betroffenen auch an schlechtem Schlaf und Depressionen.
Die Krankheit galt bis anhin als rätselhaftes Phantom: Was die Patientinnen spüren, war weder mit Röntgenbildern noch Bluttests festzustellen. Eine körperliche Ursache konnten Ärzte nicht finden. Betroffene fühlen sich deshalb oft als Simulanten abgestempelt.
Forscher stellten Schäden an kleinsten Nervenfasern fest
Jetzt könnte sich das Blatt wenden: Ein Forscherteam der Universität Würzburg fand erstmals einen klaren Nachweis für eine körperliche Ursache der Schmerzen. Sie entdeckten, dass bei Fibromyalgie bestimmte Nerven geschädigt sind. Es handelt sich um die ganz kleinen Nervenfasern, die in der Haut enden. Diese sind für das Wahrnehmen von Schmerz, Wärme und Kälte zuständig.
Die Neurologin Nurcan Üçeyler und ihr Team untersuchten kleine Hautstücke der Patienten unter dem Mikroskop. Dort fanden sie deutlich weniger von den kleinen Nervenfasern als bei Patienten ohne Fibromyalgie. Zudem funktionierten die verbliebenen Nervenfasern nicht mehr gleich gut.
Die Patienten konnten zum Beispiel warme und kalte Reize weniger gut wahrnehmen. Das Forscherteam vermutet, dass solche Schäden nicht nur in den Nerven der Haut auftreten, sondern auch in jenen von Muskeln und Gelenken. Ärztin Nurcan Üçeyler ist überzeugt: «Diese Entdeckung bedeutet einen grossen Fortschritt beim Verständnis dieser Krankheit.» Sie sei damit erstmals körperlich messbar. Bisher gab es lediglich Hinweise, dass Veränderungen im Nervensystem wie auch im Gehirn bei Fibromyalgie eine Rolle spielen.
Laut Üçeyler hat die neue Studie «noch keine direkte Auswirkung auf die Therapie der Schmerzen». Erst müsse man noch mehr über die Ursache der Nervenschäden wissen.
Kein Wunder, gibt es bis heute keine spezifische Therapie gegen Fibromyalgie. Fachleute empfehlen den Patienten, sich regelmässig zu bewegen. Geeignet sind leichte Sportarten wie Spazieren, Nordic Walking, Velofahren, Tanzen oder Wassergymnastik. Auch meditative Bewegungstherapien wie Tai Chi, Qi-Gong und Yoga und Entspannungsübungen tun den Schmerzpatienten gut.
Bei manchen helfen auch Antidepressiva mit dem Wirkstoff Amitriptylin, wie zum Beispiel Saroten oder Tryptizol. Ärzte setzen diese nicht nur gegen Depressionen ein, sondern auch bei verschiedenen Schmerzkrankheiten.
Schmerztabletten nützen bei Fibromyalgie wenig
Die üblichen Schmerzmittel wie auch Mittel gegen Rheumaschmerzen nützen den Betroffenen wenig. Diese Erfahrung machte auch Agnes Richener. «Die Tabletten linderten meine Schmerzen kaum.» Im Gegenteil: Richener litt unter den Nebenwirkungen und bekam Probleme mit der Leber.
Heute verzichtet sie auf Medikamente. «Ich habe gelernt, mit dem Schmerz zu leben und ihn zu akzeptieren.» Geholfen habe ihr dabei Psychotherapie. Sie versuche, Gedanken und Situationen zu meiden, die ihr nicht guttun. Denn bei Stress spürt sie die Schmerzen stärker. «Ich achte heute mehr auf meine Bedürfnisse.» Zudem macht sie regelmässig Übungen, um die schmerzenden, verspannten Muskeln zu dehnen, oder geht mit ihrer betagten Dackeldame Donna spazieren. «Sie tut mir einfach gut und lenkt mich von den Schmerzen ab», sagt Agnes Richener.
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