Brustkrebs: «Profit vor Patientensicherheit»
Die USA und Kanada haben dem Roche-Medikament Avastin die Zulassung gegen Brustkrebs entzogen. Auch in der Schweiz kritisieren Experten das Präparat.
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saldo 20/2011
02.12.2011
Letzte Aktualisierung:
07.12.2011
Eric Breitinger
Die USA und Kanada wollen Frauen, die an Brustkrebs leiden, besser vor Nebenwirkungen des Antikrebsmittels Avastin schützen. Die Gesundheitsbehörden der zwei Länder entzogen deshalb im November dem Hersteller Roche die Zulassung des Präparats gegen Brustkrebs. Laut der US-Arzneimittelbehörde FDA verdoppelt sich bei den mit Avastin behandelten Frauen die Zahl schwerer unerwünschter Wirkungen – von hohem Blutdruck über Herzattacken bis zu Blutungen. Zude...
Die USA und Kanada wollen Frauen, die an Brustkrebs leiden, besser vor Nebenwirkungen des Antikrebsmittels Avastin schützen. Die Gesundheitsbehörden der zwei Länder entzogen deshalb im November dem Hersteller Roche die Zulassung des Präparats gegen Brustkrebs. Laut der US-Arzneimittelbehörde FDA verdoppelt sich bei den mit Avastin behandelten Frauen die Zahl schwerer unerwünschter Wirkungen – von hohem Blutdruck über Herzattacken bis zu Blutungen. Zudem sieht die FDA keine Belege dafür, dass Avastin die Lebenserwartung und -qualität steigert.
Roche pries Avastin bei der Markteinführung als «revolutionär» an. Es würde die Blutversorgung der Krebszellen unterbinden. Die FDA erteilte dem Präparat im Jahr 2008 per Eilverfahren die vorläufige Zulassung, verlangte aber weitere Beweise für dessen Nutzen. Roche konnte diese nicht liefern, verdiente bisher aber kräftig am Verkauf. Avastin ist in den USA, der Schweiz und anderen Ländern auch gegen Darm-, Lungen- und Nierenkrebs sowie gegen Gehirntumore zugelassen. Viele Anwendungen sind aber umstritten. Das Medical Board des Kantons Zürich riet 2009, Avastin als Mittel gegen Dickdarmkrebs aus der Grundversicherung zu streichen. Der dürftige Nutzen rechtfertige nicht die Kosten.
Eine Behandlung kostet 46 000 Franken pro Jahr
In der Schweiz machte der Pharmakonzern Roche 2010 laut Krankenkassenverband Santésuisse mit Avastin 34,6 Millionen Franken Umsatz. Die Behandlung einer Brustkrebspatientin kostet fast 46 000 Franken im Jahr.
Pharmakologen und Ärzte fordern nun die Heilmittelbehörde Swissmedic auf, die Zulassung gegen Brustkrebs aufzuheben. Für den Pharmaexperten Andreas Keusch aus Pfäffikon SZ darf «die Grundversicherung nicht ein Medikament mit fragwürdiger Wirksamkeit und Sicherheit vergüten». Für Etzel Gysling, Arzt und Herausgeber des Fachblatts «Pharma-Kritik», übertreffen «die Risiken den Nutzen des Präparats bei Brustkrebs». Laut Wolfgang Becker-Brüser, Chefredaktor des Fachmagazins «Arznei-Telegramm», gibt es keine Belege «für eine Verzögerung des Tumorwachstums bei Brustkrebs». Und der Basler Krebsspezialist Richard Herrmann weist darauf hin, dass Beweise dafür fehlen, dass Patientinnen dank Avastin länger überleben.
Swissmedic hat sein Überprüfungsverfahren von Avastin laut eigenen Angaben «praktisch abgeschlossen». Kenner rechnen mit keiner Einschränkung. Keusch befürchtet, dass «Swissmedic eher das Wohl der Schweizer Pharmaindustrie im Blick hat als den Schutz der Patientinnen». Laut Insidern orientieren sich die Behörden vieler Länder an der Zulassungspolitik von Swissmedic und dem Schweizer Fabrikabgabepreis. Verliert Roche in der Schweiz die Brustkrebszulassung, könnten weitere Länder folgen.
Umsatz soll auf 7 Milliarden steigen
Die FDA-Warnung vor Nebenwirkungen hindert Roche nicht daran, Avastin weiter zu vermarkten. Laut Sprecherin Liliane Scherer peilt Roche eine Steigerung des weltweiten Jahresumsatzes von 6,5 Milliarden (2010) auf 7 Milliarden Franken an.
Trotz der Kritik an der Wirksamkeit will Roche das Präparat gegen weitere Krebsarten registrieren lassen. Andreas Keusch wirft Roche vor, «dem Profit Vorrang vor der Patientensicherheit zu geben». Roche erwidert, dass die Behörden die Indikationen des Präparats stets nach intensiver Prüfung abgesegnet hätten.
Die Santésuisse-Sprecherin Silvia Schütz fordert «eine unabhängige wissenschaftliche Kommission, welche die gesetzlich vorgeschriebene Wirksamkeit, Zweckmässigkeit und Wirtschaftlichkeit von Medikamenten regelmässig überprüft». Markus Fritz von der Schweizerischen Medikamenten-Informationsstelle schliesslich nimmt die Ärzte in die Pflicht: «Jeder gute Mediziner muss überlegen, ob er Avastin gegen Brustkrebs noch verschreiben kann.»