Bauern können das Spritzen nicht lassen
So viele Pestizide wie 2011 haben Schweizer Bauern seit langem nicht mehr verwendet. Die Gifte gefährden Gewässer und Tiere. Die Behörden unternehmen nichts.
Inhalt
saldo 08/2013
01.05.2013
Eric Breitinger
Der Verkauf von Pflanzenschutzmitteln erreichte laut dem Bundesamt für Landwirtschaft im Jahr 2011 mit 2225 Tonnen seit 20 Jahren einen neuen Höchststand. Josef Blum von der Vereinigung Vision Landwirtschaft erklärt das damit, dass Bauern im Pestizideinsatz eine «Versicherung gegen Ernteausfälle» sehen. Das rentiere – wegen der hohen Lebensmittelpreise. Zudem liegt die Beratung in der Hand der Hersteller. Firmenvertreter fahren von Hof zu Hof und preisen ...
Der Verkauf von Pflanzenschutzmitteln erreichte laut dem Bundesamt für Landwirtschaft im Jahr 2011 mit 2225 Tonnen seit 20 Jahren einen neuen Höchststand. Josef Blum von der Vereinigung Vision Landwirtschaft erklärt das damit, dass Bauern im Pestizideinsatz eine «Versicherung gegen Ernteausfälle» sehen. Das rentiere – wegen der hohen Lebensmittelpreise. Zudem liegt die Beratung in der Hand der Hersteller. Firmenvertreter fahren von Hof zu Hof und preisen die Vorzüge ihrer Pflanzengifte.
Auch die Behörden gehen sorglos um mit Pestiziden. Einige Beispiele:
- Im Jahr 2011 erlaubten die Behörden 3195 Bauern, Pflanzenschutzmittel trotz Verbot im Ökoanbau einzusetzen. Damit erteilten sie doppelt so viele Ausnahmebewilligungen auf der dreifachen Fläche wie im Vorjahr. In den letzten drei Jahren haben Kantone und Bundesamt jährlich nur 80 Kartoffel-, Mais- und Weizenfelder auf Pflanzenschutzmittel hin untersucht. Das waren weniger als ein Tausendstel aller Anbauflächen. Die Kontrolleure deckten 10 Prozent Verstösse auf. Für Blum ist klar, dass «es mehr Kontrollen auf dem Acker und Analysen der Proben geben muss».
- Auf Schweizer Äckern verteilen moderne Sämaschinen immer häufiger gleichzeitig Saatgut und Unkrautvernichtungsmittel. Das erhöht laut Marcel Liner vom Umweltverband Pro Natura «die verwendete Pestizidmenge». Für ihn widerspricht der Einsatz der Kombi-Sämaschinen der umweltfreundlichen Agrarproduktion. Das sah der Gesetzgeber ursprünglich genauso: Wer vom Staat ökologische Direktzahlungen wollte, durfte nur «gezielt» spritzen, wenn Unkraut oder Schädlinge die Saat bedrohten. Doch das Bundesamt für Landwirtschaft weichte die Verordnung auf: Getreidebauern dürfen jedes Jahr bis zum 10. Oktober vorab und ohne sichtbaren Unkrautbefall Spritzmittel ausbringen. Das erspare den Bauern Arbeit. Auch gelangten so weniger Pestizide in die Natur, da kein Nachspritzen nötig sei.
- Bislang durften Bauern keine Pestizide im Abstand bis zu 9 Metern zu einem Gewässer verteilen. Künftig sollen bei kleinen Flüssen 6 Meter ausreichen. Das vereinfache die Bewirtschaftung und Kontrollen, sagt das Amt. Daniela Hoffmann vom Umweltverband WWF sieht jedoch keine Arbeitserleichterung. Und die neue Verordnung erhöhe die Gefahr einer «weiteren Verschlechterung der Wasserqualität». Kleine Fliessgewässer seien ohnehin stark belastet. Zudem enthalten 70 Prozent des Grundwassers im Mittelland bereits zu hohe Mengen an Pestizidrückständen (saldo 4/13).
Pestizide laut Greenpeace wichtige Ursache für Bienensterben
Pestizidrückstände stehen laut zahlreichen Studien im Verdacht, bei Menschen Krebs zu fördern und das Erbgut zu verändern (saldo 17/11). Auch gefährden sie sensible Tierarten. Laut einer neuen Studie in der Zeitschrift «Scientific Reports» schädigen in der Schweiz gebräuchliche Pestizide Amphibien viel stärker als bisher angenommen. Bei Tests mit der empfohlenen Dosis starben je nach Pestizid 40 bis 100 Prozent der exponierten Frösche innert einer Woche. Pestizide sind daher mitverantwortlich dafür, dass 14 der 20 heimischen Amphibienarten vom Aussterben bedroht sind. Zugleich sind sie laut einer neuen Greenpeace-Studie «eine wichtige Ursache» für das Bienensterben. Die Umweltorganisation will sieben Pestizide verbieten. Die Schweizer Behörden lehnen das ab.
Auch Lebensmittel sind, wie Tests belegen, mit Rückständen belastet, etwa Kartoffeln («K-Tipp» 8/13) oder Salate («Gesundheits-Tipp» 1/13).
Die EU will nun Mensch, Tier und Umwelt vor möglichen Nebenwirkungen von Pflanzengiften schützen. Sie ruft die Mitgliedsstaaten auf, deren Einsatz zu senken. Deutschland setzte dies vor kurzem um. Frankreich strebt eine Halbierung des Verbrauchs bis 2018 an und verbot 53 heikle Stoffe. Dänemark schützt Gewässer durch 10 Meter breite Pufferzonen, verteuert Pestizide per Lenkungsabgabe und will die Bio-Anbaufläche bis 2020 um 40 Prozent erweitern. Das schwiezerische Bundesamt für Landwirtschaft will im Herbst Stellung beziehen.