Es ist drückend heiss, der Himmel fast wolkenlos. saldo-Leserin Anita Furrer (Name geändert) ist im Knonauer Amt im Kanton Zürich unterwegs. Auf einem Hof sieht sie weisse Plastikboxen in Reih und Glied stehen – in der prallen Sonne (siehe Bilder). Um jede Box ist ein Maschenzaun gezogen. In den Boxen sind Kälber. «Sie konnten nur aufstehen, mehr nicht», sagt Furrer. Wasser habe sie nirgends gesehen. «Ich war entsetzt und zu Tränen gerührt.»
Was die saldo-Leserin auf dem Hof gesehen hat, sind sogenannte Einzelhütten oder Iglus. Laut der Schweizer Tierschutzverordnung dürfen die Bauern Kälber bereits ab Geburt in solchen Hütten halten. Der Schweizer Tierschutz schätzt, dass Schweizer Landwirte weit mehr als 100 000 Kälber in Einzeliglus halten. Darunter sind sowohl Kälber, die später als Milchkühe dienen, als auch Mastkälber für die Fleischproduktion.
«Minimaler Sozialkontakt»
In den Iglus ist es eng: Vorgeschrieben ist eine Fläche von 1 bis 1,5 Quadratmetern. Die Kälber müssen Auslauf haben. Aber zur Grösse gibt es keine Vorschriften. Meist sind die Gehege kaum grösser als die Hütten selbst. Gemäss der Schweizer Tierschutzverordnung müssen Kälber grundsätzlich in Gruppen gehalten werden. Laut dem Bundesamt für Veterinärwesen sind Artgenossen für Kälber «besonders wichtig».
Doch bei den Einzelhütten macht die Verordnung eine Ausnahme. Stefan Kunfermann vom Bundesamt für Landwirtschaft: «Die Einzelhaltung soll verhindern, dass Krankheitskeime übertragen werden.» Man ermögliche den Kälbern einen «minimalen Sozialkontakt», indem sie sich gegenseitig sehen könnten.
Der Schweizer Tierschutz-Geschäftsführer Hansuli Huber widerspricht: «Für Kälber gibt es auch Gruppeniglus. Dort ist das Ansteckungsrisiko genauso klein wie in Einzeliglus und die Tiere haben erst noch mehr Platz und direkten Kontakt zueinander.»
«Kälber sind Herdentiere»
Anet Spengler vom Forschungsinstitut für biologischen Landbau bezeichnet die Haltung von Kälbern in Einzelhütten während mehr als zwei Wochen als «nicht artgerecht»: «Kälber sind Herdentiere. Sie können ihr Sozialverhalten nicht richtig entwickeln, wenn sie voneinander getrennt sind.» Sichtkontakt genüge nicht.
Beatrice Roth vom Zürcher Tierschutz kritisiert die geringe Grösse der Iglus: «Die Grundfläche ist für ein Jungtier mit seinem enormen Bewegungsdrang ungenügend, die Fortbewegung wird massiv beschränkt.» Tiergerecht sei nur eine Haltung mit grosszügigem Auslauf oder besser noch mit Weidezugang.
Davon wollen die Landwirte nichts wissen. Der Schweizer Bauernverband rechtfertigt die Einzelhaltung: «Wenn der Sichtkontakt zu anderen Kälbern gegeben ist, ist diese Haltung gesetzeskonform.»
saldo wollte von Coop und Migros wissen, ob ihr Kalbfleisch von Kälbern stammt, die in Einzelhütten gehalten wurden. Laut Migros ist nur beim Label Terrasuisse die Einzelhaltung verboten. Bei Coop ist dies der Fall beim Label Naturafarm, bei Natura Veal und bei Natura Beef.
Auch wer zu Schweizer Bio-Fleisch greift, kauft unter Umständen Fleisch von Kälbern aus Einzelhütten. Denn selbst bei Schweizer Bio-Produkten ist die Einzelhaltung von Kälbern in Plastikiglus erlaubt. Laut Sprecher Lukas Inderfurth will Bio Suisse die Richtlinien immerhin leicht ändern: «Die Kälberhaltung in Einzeliglus soll ab nächstem Jahr auf acht Wochen beschränkt werden.» Danach sei Gruppenhaltung obligatorisch.