AKW Leibstadt: Chemiekeule für den Rhein
Das AKW Leibstadt leitet seit 2011 tonnenweise Javelwasser und andere Chemikalien in den Rhein, um Bakterien zu bekämpfen. Der Kanton Baselland kritisiert das Vorgehen.
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saldo 10/2013
29.05.2013
Yves Demuth
Am 7. Mai erhielt das AKW Leibstadt vom Eidgenössischen Nuklearsicherheitsinspektorat zum vierten Mal die Erlaubnis, monatlich bis zu einer halben Tonne Javelwasser in den Rhein abzulassen. Javelwasser enthält Chlor und wirkt deshalb desinfizierend. Es wird im AKW bereits seit zwei Jahren benutzt, um die Legionellen im Kühlturm abzutöten – bisher ohne Erfolg.
Legionellen sind Bakterien, die Mitarbeiter und Anwohner gefährden könnten. S...
Am 7. Mai erhielt das AKW Leibstadt vom Eidgenössischen Nuklearsicherheitsinspektorat zum vierten Mal die Erlaubnis, monatlich bis zu einer halben Tonne Javelwasser in den Rhein abzulassen. Javelwasser enthält Chlor und wirkt deshalb desinfizierend. Es wird im AKW bereits seit zwei Jahren benutzt, um die Legionellen im Kühlturm abzutöten – bisher ohne Erfolg.
Legionellen sind Bakterien, die Mitarbeiter und Anwohner gefährden könnten. Sie werden über Tröpfchen in der Luft übertragen und können die Legionärskrankheit auslösen. Schlimmste Folge der Krankheit kann eine tödliche Lungenentzündung sein.
Trotz dieser Gefahr ist umstritten, ob der Gesundheitsschutz die Chemiekeule rechtfertigt. Bereits bei der ersten Javelwasser-Bewilligung 2011 bezweifelten die Behörden, dass der Chemieeinsatz zum Gesundheitsschutz der Bevölkerung «überhaupt notwendig und zweckdienlich» sei. Die Umweltämter der Kantone Aargau und Basel-Stadt beantragten, vorerst auf den Einsatz zu verzichten.
Trotzdem erhielten die AKW-Betreiber vier Mal die Bewilligung, dem Reaktor-kühlwasser während insgesamt 13 Monaten 8,6 Tonnen pures Natriumhypochlorit zuzufügen.
Das Javelwasser wird jeweils in den Rhein abgelassen, sobald der Chlorgehalt unter den gesetzlich festgelegten Grenzwert gesunken ist. Laut dem Bundesamt für Umwelt baut sich das Chlor zwar gut ab, doch werden sogenannte halogenierte organische Verbindungen gebildet, welche die Gewässer belasten. Diese Schadstoffe kommen in Industrieabwässern vor.
«Trinkwasser-kontamination nicht auszuschliessen»
Bedenken bestehen, weil der Rhein den Basler Stadtwerken als Trinkwasserquelle dient. Adrian Auckenthaler vom Baselbieter Amt für Umweltschutz: «Uns liegen zu wenig Informationen vor, um die Gefahr einer Trinkwasserkontamination vollständig auszuschliessen.» Er weist darauf hin, dass die AKW-Betreiber für die Desinfektion neben Javelwasser auch weitere Chemikalien einsetzen. Diese haben Ähnlichkeiten mit Lösemitteln und Natronlauge.
Diese Mittel mit den Namen Foamtrol AF1440E und Spectrus BD1500 benutzt das AKW, um Schaumbildung zu verhindern und die Wirkung des Chlors zu erhöhen. «Inbesondere sollten wir Angaben zu den Stoffeigenschaften dieser Chemikalien und deren Abbau und Transportverhalten in den Gewässern haben, da sie in grösseren Mengen eingesetzt werden», fordert Auckenthaler.
Basel-Stadt spricht Sicherheitsinspekorat Kompetenz ab
Das Amt für Umwelt des Kantons Basel-Stadt sprach dem federführenden Nu-
klearsicherheitsinspektorat Ende 2011 die «notwendigen fachlichen Kompetenzen» beim Gewässerschutz ab und forderte in einem Schreiben, das Inspektorat müsse sich zwingend an die Empfehlungen des Bundesamts für Umwelt halten.
Doch auch dieses Amt verstrickt sich in Widersprüche: Im letzten Dezember schrieben die Verantwortlichen, es sei zwingend, dass der Chemieeinsatz Ende März durch eine umweltfreundlichere Methode abgelöst werde. Trotzdem stimmte es im Mai einer Bewilligungsverlängerung zu. Das Amt begründet den Entscheid mit der Hoffnung, dass bis Anfang September ein «voraussichtlich effizienteres und umweltfreundlicheres Verfahren» vorliege.
Das AKW Leibstadt sagt, dass die Behandlung mit Javelwasser bei geschlossenem Kühlkreislauf erfolge. Das Wasser werde erst in den Rhein abgelassen, wenn die Chlorkonzentration unter dem Grenzwert liege.