Abgehörte Gespräche: Der Überwachungshunger wächst
Die Behörden spionieren immer mehr Handy- und Internetnutzer aus. Letztes Jahr kostete das die Telekomunternehmen 21 Millionen Franken. Die Hälfte davon berappten die Kunden.
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saldo 15/2012
21.09.2012
Letzte Aktualisierung:
24.09.2012
Thomas Lattmann
Bundesrätin Simonetta Sommaruga versicherte Ende letzten Jahres gegenüber saldo, Telefon- und Internetüberwachungen kämen nur bei schweren Straftaten zum Einsatz. Die Zahlen von 2011 zeigen ein anderes Bild. Die Schweizer Telekomunternehmen mussten auf Geheiss der Justiz 12 375 Überwachungsaufträge ausführen. Dazu kamen 175 504 «einfache Auskünfte» zu Teilnehmeranschlüssen ohne richterlichen Beschluss.
Die Überwachungsm...
Bundesrätin Simonetta Sommaruga versicherte Ende letzten Jahres gegenüber saldo, Telefon- und Internetüberwachungen kämen nur bei schweren Straftaten zum Einsatz. Die Zahlen von 2011 zeigen ein anderes Bild. Die Schweizer Telekomunternehmen mussten auf Geheiss der Justiz 12 375 Überwachungsaufträge ausführen. Dazu kamen 175 504 «einfache Auskünfte» zu Teilnehmeranschlüssen ohne richterlichen Beschluss.
Die Überwachungsmassnahmen verursachen den Telekomunternehmen einen grossen Aufwand. Wie eine im Auftrag des Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartementes durchgeführte Studie zeigt, betrugen die Betriebskosten für die Fernmeldeüberwachung im letzten Jahr bei allen Telekomunternehmen 19,2 Millionen Franken, plus Investitionskosten von rund 1,65 Millionen Franken. Die grossen Telekomanbieter wie Swisscom und Sunrise beschäftigen aufgrund der hohen Zahl an Überwachungsfällen spezielle Teams, die rund um die Uhr die Überwachungen sicherstellen.
Rasante Zunahme der Aufträge für Handyüberwachungen
Gemäss Studie ging bisher rund die Hälfte der Betriebskosten zulasten des Steuerzahlers. Eine Echtzeit-Telefonüberwachung etwa verursachte letztes Jahr Kosten in der Höhe von 2254 Franken. Je Auftrag erhielten die Telekomfirmen eine Entschädigung von 1330 Franken.
Neu gelten vermehrt Pauschalen. Für Investitionskosten und Infrastruktur erhalten die Telekomunternehmen keine Entschädigung. Das heisst: Über die Hälfte der gesamten Überwachungskosten zahlen die Telekomkunden.
Der Überwachungshunger der Behörden wächst stetig. Von 2005 bis 2011 nahmen die Aufträge um 43 Prozent zu. Stark zugenommen hat die Zahl der Handyüberwachungen: Letztes Jahr entfielen 95 Prozent (11 762 Fälle) der Überwachungsaufträge auf die Mobiltelefonie. Die restlichen 5 Prozent teilen sich Festnetztelefonie, Internet und Post. Total fanden 2699 Echtzeit-Überwachungen statt. In so vielen Fällen also hörten die Behörden Telefone ab und lasen E-Mails mit.
Der auf Telekommunikationsrecht spezialisierte Zürcher Anwalt Simon Schlauri ist beunruhigt. «Die Behörden versuchen teilweise, neue technische Möglichkeiten auszureizen und bei der Überwachung weiter zu gehen, als ihnen das Gesetz erlaubt.» Beispiel: der sogenannte Antennensuchlauf. Dabei werden sämtliche Verkehrsdaten eines Handymastes bezüglich anrufender und angerufener Telefonnummern durchsucht. So wird eine unbestimmte Zahl von Personen ohne konkreten Verdacht ausspioniert. «Das ist eine Art Rasterfahndung», sagt Schlauri. Trotzdem hat das Bundesgericht diese Methode im letzten November abgesegnet.
Zahlen deuten auch auf Überwachung weniger schwerer Straftaten hin
Die hohe Zahl an Überwachungsaufträgen lässt daran zweifeln, ob die Strafbehörden wirklich nur in Fällen schwerer Straftaten und bei dringendem Verdacht Überwachungen anordnen. Zu den häufigsten Delikten zählen: Sachbeschädigung, Diebstahl, Datenbeschädigung und die Weitergabe von Geschäftsgeheimnissen.