2. Säule: Panikmache auf Vorrat
Das Geschäft mit der 2. Säule ist lukrativ. Trotzdem sagt ein Uni-Professor für das Jahr 2030 ein Defizit von 55 Milliarden Franken voraus. Die Berechnungen sind fragwürdig.
Inhalt
saldo 01/2013
23.01.2013
Thomas Lattmann
Seit Jahren machen die Versicherungen mit der 2. Säule hohe Gewinne («K-Tipp» 20/12). Mitte Januar meldete auch der Pensionskassenverband für das Jahr 2012 eine Rendite von durchschnittlich 6,3 Prozent auf den Anlagen von 61 Kassen. Verzinst wird das Guthaben der Versicherten aber meist nur zu 1,5 Prozent. Der Rest des Ertrags bleibt bei den Pensionskassen und Versicherungen.
Trotz...
Seit Jahren machen die Versicherungen mit der 2. Säule hohe Gewinne («K-Tipp» 20/12). Mitte Januar meldete auch der Pensionskassenverband für das Jahr 2012 eine Rendite von durchschnittlich 6,3 Prozent auf den Anlagen von 61 Kassen. Verzinst wird das Guthaben der Versicherten aber meist nur zu 1,5 Prozent. Der Rest des Ertrags bleibt bei den Pensionskassen und Versicherungen.
Trotz der sehr guten Entwicklung warnte der Verband vor Euphorie. «Alterssicherung in Gefahr» titelte gar das Institut für Versicherungswirtschaft der Uni St. Gallen im Dezember eine Medienmitteilung. Laut einer Studie sollen bis 2030 in der Berufsvorsorge 55 Milliarden Franken fehlen.
Berechnung: Zahlen weisen zu hohe Lebenserwartung aus
Doch die Prognosen des Instituts basieren auf Annahmen bezüglich künftiger Lebenserwartung, die auf wackligen Füssen stehen. Studienautor Martin Eling stützte sich auf die Sterbetafeln 2010 der Pensionskasse der Stadt Zürich. Diese Kasse erhebt die Lebenserwartung ihrer Versicherten und stellt Hochrechnungen an. Die Daten umfassen 1,37 Millionen Versicherte und Rentenbezüger von 21 Vorsorgeeinrichtungen von Bund, Kantonen und Gemeinden.
Ernst Welti, Geschäftsleiter der Pensionskasse Stadt Zürich, behauptet, das Datenmaterial sei «repräsentativ für die gesamte werktätige Bevölkerung». Das ist falsch. Es handelt sich ausnahmslos um Daten von Staatsangestellten. Diese unterscheiden sich von den Beschäftigten in der Privatwirtschaft.
Laut Bundesamt für Statistik liegt der Monatslohn von Staatsangestellten deutlich über demjenigen in der Privatwirtschaft. Und wer mehr verdient, lebt länger. Die Sterbetafeln der Pensionskasse der Stadt Zürich weisen also eine zu hohe Lebenserwartung aus.
Zahlen des Bundes bilden die gesamte Bevölkerung ab
Das belegt ein Vergleich mit den Zahlen des Bundesamts für Statistik. Diese basieren auf der tatsächlichen Sterbequote und bilden die Gesamtbevölkerung ab. Vergleicht man diese Lebenserwartung für 65-jährige Männer und 64-jährige Frauen mit den Zürcher Sterbetafeln, zeigen sich klare Unterschiede: Für 2012 beziffert die Zürcher Pensionskasse die Restlebenserwartung für Frauen auf 23,8, für Männer auf 20,1 Jahre. Beim Bundesamt liegen die Werte bei 23,1 (Frauen) und 19 Jahren (Männer). Die Differenz zwischen den Erhebungen beträgt 0,7 (Frauen) und 1,1 Jahre (Männer).
Heikel an der St. Galler Studie sind auch die Prognosen: 2030 soll die Lebenserwartung von 65-jährigen Männern 23,76 Jahre betragen. Sie sollen im Schnitt fast 89 Jahre alt werden. Für 64-jährige Frauen wird eine Restlebenszeit von 27,2 Jahren prognostiziert. Das ergibt ein Durchschnittsalter von über 91 Jahren. Nur wegen dieser hohen Lebenserwartungs-Prognosen kommt die Studie auf einen Fehlbetrag in der Berufsvorsorge bis 2030 von 55 Milliarden Franken. Ob die Menschen aber immer älter werden, ist offen.
Studie: Professur von Versicherern mitfinanziert
Im März 2010 sagte das Volk nein zu einer Kürzung der Pensionskassenrenten. Trotzdem geht es den Versicherungen und Pensions-kassen seither besser. Pensionskassenverband und Lebensversicherungen wollen aber die Renten weiterhin kürzen.
Mit der Studie über die drohende Finanzierungslücke in der 2. Säule liefert ihnen das Institut für Versicherungswirtschaft der Uni St. Gallen reichlich Munition. Nur: Dass der verantwortliche Professor Martin Eling unter anderem die Senkung des Umwandlungssatzes für Renten vorschlägt, ist nicht ganz zufällig: Er wird durch den Schweizerischen Versicherungsverband und acht Schweizer Versicherer unterstützt. Martin Eling sagt gegenüber saldo, dass er unabhängig sei von der Versicherungswirtschaft.