Internet-News: Leserkommentare nur beschränkt willkommen
Um unerwünschte Kommentare zu verhindern, schliessen Newsportale im Internet die Kommentarfunktion zu bestimmten Themen. Damit unterbinden sie die Diskussion unter den Lesern.
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saldo 01/2013
23.01.2013
Jonas Arnold
Unter dem Titel «Auf was warten?» kommentiert ein Leser einen Artikel von 20min.ch zur Gerichtsverhandlung gegen den Bieler Rentner Peter Hans Kneubühl: «In anderen Ländern wär der Typ erschossen worden und niemand hätte auch nur mit der Wimper gezuckt.»
Ähnlich tönte es auf Tagesanzeiger.ch: «In solchen Fällen sollte der finale Rettungsschuss zur Anwendung kommen, alles andere ist Täterschutz auf Kosten der Bev...
Unter dem Titel «Auf was warten?» kommentiert ein Leser einen Artikel von 20min.ch zur Gerichtsverhandlung gegen den Bieler Rentner Peter Hans Kneubühl: «In anderen Ländern wär der Typ erschossen worden und niemand hätte auch nur mit der Wimper gezuckt.»
Ähnlich tönte es auf Tagesanzeiger.ch: «In solchen Fällen sollte der finale Rettungsschuss zur Anwendung kommen, alles andere ist Täterschutz auf Kosten der Bevölkerung», schrieb ein Leser. Zwei Tage später schaltete die Internetzeitung die Kommentarfunktion zu den Kneubühl-Artikeln ab. Und löschte alle Kommentare.
Dies entspricht dem Vorgehen vieler Online-Zeitungen: Anstatt die Lesermeinungen durchzusehen und eine Auswahl davon zu publizieren, würgen sie Diskussionen zu bestimmten Themen ab und löschen die Kommentarfunktion. Lorenz König, Sprecher der NZZ-Gruppe, bestätigt: «Wir enfernen die Kommentarfunktion, wenn Diskussionen von Lesern ausufern.»
Die Verlagshäuser betonen, dass die Entscheide auf klar definierten Richtlinien basieren. Wie diese genau lauten, sagen sie nicht. Stattdessen verweisen sie auf die Regeln zu Online-Kommentaren, die auf den Websites verfügbar sind, der sogenannten «Netiquette»: «Keine themenfremden Äusserungen, keine Beleidigungen, keine rassistischen oder ehrverletzenden Kommentare» will die Internetredaktion von «Blick». Auch «20 Minuten Online» «löscht beleidigende, rassistische und nicht in Schriftsprache verfasste Beiträge». Gleich bei «Newsnet», «NZZ Online» und SRF.
Die Durchsicht der Kommentare ist an Studenten delegiert
Die Auswahl der Kommentare trifft nicht unbedingt die Redaktion. Tamedia beispielsweise hat zusätzlich 17 Studenten angestellt, die Kommentare im Schichtbetrieb lesen und nach Gutdünken veröffentlichen. Sie arbeiten von zu Hause aus und sind nicht in den Redaktionsalltag eingebunden.
Kein Wunder, klappt die Anwendung der offiziellen Kriterien in vielen Fällen nicht. Denn oft sind auf den News-Plattformen grenzwertige Kommentare zu lesen – wie im angeführten Beispiel über Peter Hans Kneubühl. Oder es kommentiert ein Leser den Besuch einer deutschen Holocaustleugnerin auf Tagesanzeiger.ch mit den Worten: «Was für ein Holocaust? Die waren doch in Sicherheitshaft zu ihrem Schutz untergebracht.»
«Blick», «20 Minuten» und «Tages-Anzeiger» zensurieren aus diesem Grund schon vorab: «Bei vereinzelten Themen schalten wir die Kommentarfunktion von vornherein aus, da die Menge an unflätigen Zuschriften erfahrungsgemäss gross ist», sagt Danja Spring, Sprecherin von Ringier. Dieses Vorgehen würde der Redaktion einer gedruckten Zeitung nie in den Sinn kommen. Jedenfalls hat noch keine ihrem Publikum geschrieben: Zu diesen Themen akzeptieren wir keine Leserbriefe.
Bei 20min.ch lässt sich jeder fünfte Artikel nicht kommentieren, bei Newsnet.ch ist es gar die Hälfte. Auf diesem Portal publizieren die Internetredaktionen der «Basler Zeitung», «Berner Zeitung», des «Bund» und des «Tages-Anzeigers».
«Heikel»: Beiträge im Zusammenhang mit dem Nahostkonflikt
Ein Beispiel für ein «heikles» Thema ist die Besetzung von Palästina durch Israel. So können Leser zum Beispiel den Artikel «Hunderttausende erinnern an Fatah-Gründung» vom 4. Januar auf 20min.ch nicht kommentieren. Bei Tagesanzeiger.ch ist ein Artikel über den Entscheid Israels zum Bau von Wohnungen auf besetztem Gebiet nicht kommentierbar, dasselbe gilt für ein Interview mit einem israelischen Historiker unter dem Titel «Der jüdische Staat kann sich jeden Bruch mit dem Recht leisten». Tamedia-Sprecher Christoph Zimmer bestätigt: «Bei Artikeln zum Nahostkonflikt sind heikle Kommentare zu erwarten, deshalb können sie oft nicht kommentiert werden.» Damit wolle man den Bearbeitungsaufwand gering halten.
Anders macht es die Basler Wochenzeitung «Tageswoche». Auf Tageswoche.ch sind Kommentare zu allen Artikeln möglich. Die besten Kommentare hebt die Redaktion hervor. Noch weiter gehen die deutsche Wochenzeitung «Die Zeit» oder die «Süddeutsche Zeitung». Auch diese Portale rechnen mit mehreren Tausend Leserbeiträgen pro Tag. Dennoch können auf ihren Portalen die Leser Kommentare zu allen Themen und Artikeln abgeben.
Mehr noch: Die Redaktion mischt sich ein und diskutiert mit den Lesern. Und es ist ersichtlich, wenn sie Kommentare löscht oder redigiert. Einen Kommentar zu einem Artikel über den Konflikt zwischen den USA und Israel kennzeichnete die Redaktion der «Zeit» etwa mit: «Gekürzt, bitte verzichten Sie auf diskriminierende Äusserungen.» Und zu einem gelöschten Kommentar: «Entfernt, bitte verzichten Sie auf Unterstellungen.» Versehen sind diese Bemerkungen jeweils mit dem Kürzel des verantwortlichen Redaktors.
Kommentar-Richtlinien: Foren von saldo und «K-Tipp»
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