Antibiotika für Tiere: Immer mehr resistente Keime im Fleisch
Landwirte setzen bei ihren Tieren auf Antibiotika, die auch bei Menschen wirken. Experten befürchten bedrohliche Resistenzen.
Inhalt
saldo 16/2012
07.10.2012
Letzte Aktualisierung:
08.10.2012
Sabine Rindlisbacher
Antibiotika sollen schädliche Bakterien im Körper bekämpfen. Doch bei einem übermässigen Einsatz werden die Medikamente gegen die Krankheitserreger wirkungslos. Mit verheerenden Folgen: Eine Therapie ist oft kaum mehr möglich, eine Genesung fast ausgeschlossen.
Zu den eingesetzten Antibiotika in der Tierhaltung gehören auch solche, die in der Humanmedizin zu den wichtigsten Wirkstoffgruppen gehören. Gemeint ist unter anderem die Antibiotikakl...
Antibiotika sollen schädliche Bakterien im Körper bekämpfen. Doch bei einem übermässigen Einsatz werden die Medikamente gegen die Krankheitserreger wirkungslos. Mit verheerenden Folgen: Eine Therapie ist oft kaum mehr möglich, eine Genesung fast ausgeschlossen.
Zu den eingesetzten Antibiotika in der Tierhaltung gehören auch solche, die in der Humanmedizin zu den wichtigsten Wirkstoffgruppen gehören. Gemeint ist unter anderem die Antibiotikaklasse der sogenannten Cephalosporine. 2006 setzten die Bauern davon 131 Kilogramm ein. 2011 waren es bereits 249 Kilogramm.
Das Bundesamt für Veterinärwesen befürchtet angesichts der steigenden Nachfrage, dass die krankmachenden Keime gegen Cephalosporine resistent werden. Zu Recht: 2011 liess das Amt erstmals je rund 180 Mastpouletgruppen, Mastschweine und Schlachtrinder gezielt auf Darmbakterien untersuchen, die gegen Cephalosporine resistent sind. Es wurde bei jeder dritten Hühnerschar, jedem zwölften Rind und jedem dreizehnten Schwein fündig.
Resistente Keime: Gefahr der Übertragung via Lebensmittel
Laut Nathalie Rochat, Sprecherin des Bundesamts, seien zwar im Fleisch keine Antibiotikarückstände mehr vorhanden. Doch könnten sich auf dem Fleisch resistente Bakterien befinden. Und hier liegt die Gefahr: «Es ist erwiesen, dass resistente Bakterien von Tieren durch direkten Kontakt sowie indirekt durch Lebensmittel auf Menschen übertragen werden können.»
Kathrin Mühlemann, Leiterin des Instituts für Infektionskrankheiten an der Universität Bern, stimmt zu. Es gebe «mehr und mehr Hinweise», dass die Resistenzbildung verschiedener gefährlicher Bakterien bei Tieren auch in der Humanmedizin eine Rolle spielt. Sollten Cephalosporine bei Menschen nicht mehr wirken, könne dies fatale Folgen haben.
Bundesamt lobt die Wirksamkeit der Antibiotika
2008 gab das Bundesamt für Gesundheit an, dass in der Schweiz jährlich rund 80 Todesfälle aufgrund von Antibiotikaresistenzen auftreten. Laut Daniel Koch, Leiter Abteilung Übertragbare Krankheiten beim BAG, gibt es keine aktuellen Zahlen. Auch könne man nicht sagen, wie viele Todesopfer es durch Resistenzen in der Veterinärmedizin gab oder gibt.
Trotzdem will das Bundesamt für Veterinärwesen den Einsatz von Cephalosporinen nicht senken. Zu gross sind die Vorteile für die Landwirte: Die Antibiotika seien sehr wirksam, und die Tiere würden nur kleine Dosen benötigen.
Der Schweizer Bauernverband sagt, dass der Einsatz von Antibiotika beim Menschen und nicht beim Tier die Hauptursache für resistente Bakterien in der Humanmedizin ist. Laut Sprecherin Sandra Helfenstein entscheidet nicht der Tierhalter, ob und welches Antibiotikum eingesetzt wird: «Die Bauern sind darauf angewiesen, dass die Tierärzte möglichst unproblematische Antibiotika verschreiben.»
«Antibiotika sind billiger als optimierte Haltungsbedingungen»
Laut Charles Trolliet, Präsident der Gesellschaft Schweizer Tierärztinnen und Tierärzte, wollen Bauern wirksame Antibiotika: «Die Verwendung von Antibiotika ist kurzfristig billiger, als optimierte Haltungsbedingungen einzurichten, damit Krankheiten gar nicht erst ausbrechen.» Vor allem Mastbetriebe würden Antibiotika auch «vorbeugend» verabreichen. Um das Resistenzproblem zu entschärfen, raten die Tierärzte zu besseren Produktionsbedingungen sowie dazu, bestimmte Antibiotika in der Tiermedizin zu verbieten – so auch gewisse Cephalosporine.
Selbst Bio-Tiere erhalten im Krankheitsfall Antibiotika. saldo wollte von Bio Suisse wissen, wie viel Antibiotika, insbesondere Cephalosporine, im letzten Jahr bei Bio-Tieren landeten. Sprecherin Sabine Lubow: «Das wissen wir nicht.» Zwar müssten die Betriebsleiter alle Medikamentenbehandlungen festhalten. Doch der Aufwand für die Erfassung der Einzeldaten sei für Bio Suisse zu hoch.
Nutztiere: Mehr Aus- und Weiterbildung für Tierärzte und Landwirte
Das Bundesamt für Veterinärwesen will den Einsatz von Antibiotika bei Nutztieren neu besser kontrollieren:
- 1. Mengenerfassung: Welche Mengen an Antibiotika an welche Tierarten Bauern und Tierärzte verabreichen, soll zentral erfasst werden.
- 2. Präventive Massnahmen: Weniger Antibiotikaverbrauch bedeutet weniger Antibiotikaresistenzen. Dazu braucht es unter anderem eine tiergerechte Haltung.
- 3. Anwendung und Kontrolle: Antibiotika sollen richtig dosiert zum Einsatz kommen und so kurze Zeit wie möglich angewendet werden. Dazu sollen Tierärzte und Tierhalter zur Aus- und Weiterbildung verpflichtet werden.
- 4. Resistenzen stoppen: Gute Hygiene bei Produktion und Schlachtung reduziert das Risiko, dass sich resistente Keime in der Lebensmittelkette weiterverbreiten.
- 5. Forschung. Experten sollen unter anderem die Zusammenhänge zwischen Antibiotikaeinsatz und Resistenzen, neue Diagnosemöglichkeiten sowie die Ausbreitung in Umwelt, Tier und Mensch weiter erforschen.
- 6. Zusammenarbeit. Resistenzen kennen keine Grenzen. Die Schweiz muss das Problem international vernetzt angehen.